OFD Koblenz, Verfügung v. 11.7.2005, S 7165 A - St 44 2
Anträge auf Änderung der Festsetzung in bestandskräftigen Fällen bzw. in Fällen des Ablaufs der Festsetzungsverjährung
Die Umsatzsteuer-Referatsleiter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder haben unter TOP 6 der Sitzung 111/05 die Frage erörtert, ob auf Grund des EuGH-Urteils vom 17.2.2005, C-453/02 und C-462/02, Ansprüche auf Änderung bereits bestandskräftiger Steuerfestsetzungen geltend gemacht werden können. Danach gilt hinsichtlich bestandskräftiger Steuerfestsetzungen im Bereich der hier angesprochenen Umsätze mit Geldspielautomaten Folgendes:
Aus dem Gemeinschaftsrecht (und auch aus der AO) folgt kein Anspruch der Steuerpflichtigen auf Änderung bereits bestandskräftig gewordener Umsatzsteuer-Bescheide.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass – soweit keine gerneinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften bestehen – das nationale Verfahrensrecht anzuwenden ist. Dies gilt allerdings mit der Einschränkung, dass bei gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalten das nationale Recht im Vergleich zu nationalen Sachverhalten nicht diskriminierend angewendet und die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich gemacht werden darf.
Der EuGH hat in Konkretisierung dieser Grundsätze für nationale Regeln über die Bestandskraft in seinem Urteil vom 13.1.2004 (C-453/00, Kühne & Heitz NV) festgestellt:
„Der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichtet eine Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom EuGH vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen, wenn
- die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen,
- die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist,
- das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des EuGH zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der EuGH um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 234 Abs. 3 EG erfüllt war, und
- der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des EuGH erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat.”
Die vorstehenden vom EuGH aufgestellten Kriterien waren im Ausgangsfall für den dort strittigen Anspruch auf Ausfuhrerstattung erfüllt. Der EuGH hat daher in diesem Fall lediglich entschieden, dass beim Vorliegen dieser Kriterien das Europarecht einen Anspruch auf Änderung einer bestandskräftigen Entscheidung gibt. Der Gerichtshof musste nicht Stellung nehmen, welche Kriterien mindestens erfüllt sein müssen, damit ein europarechtlicher Anspruch auf Änderung einer bestandskräftigen Entscheidung besteht.
Aus dem Urteil kann abgeleitet werden, dass nur unter sehr engen Voraussetzungen ein europarechtlicher Anspruch auf Änderung einer bestandskräftigen Entscheidung bestehen kann. Ein solcher Anspruch ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn das nationale Recht keine Verfahren für die Änderung bestandskräftiger Entscheidungen bereithält.
Der EuGH betont in den Urteilsgründen die Bedeutung der Bestandskraftregeln für die Rechtssicherheit und stellt fest (Rn. 24), dass das Gemeinschaftsrecht es nicht verlangt, dass „eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen”. Gewährt das nationale Recht kein Verfahren, welches zu einer Änderung bestandskräftiger Entscheidungen führt, so kann das Gemeinschaftsrecht auch nicht die Einrichtung eines solchen Verfahrens verlangen.
Auf die sog. Emmott-Rechtsprechung (EuGH vom 25.7.1991, C-208/90, EuGHE 1 1991 S. 4289) können sich die Steuerpflichtigen auch nicht berufen, um eine Änderung schon bestandskräftiger Umsatzsteuer-Bescheide zu erreichen. Das Urteil Emmott hatte eine Sonderrechtsstellung geschaffen, die für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien – abweichend von den oben dargestellten Grundsätzen – vorsah, dass die Berufung auf nationale Verfahrensfristen ausgeschlossen ist, welche die Durchsetzung eines in der betreffenden Richtlinie gewährten Rechts behindern. In der Entscheidung Fantask (Urteil vom 2.12.1997, C-188/95, EuGHE 1 1997 S. 6783) hat aber der EuGH klargestellt (Rn. 51), dass seine damalige Rechtsprechung in Emmott sich nur auf einen – hier nicht gegebenen – Sonderfall bezog. In der Literatur wird seither ganz überwiegend vertreten, dass der EuGH damit seine Emmott-Rechtsprechung in der Sache aufgegeben hat (vgl. Gundel, NVwZ 1998 S. 920 und Hahn, IStR 2000 S. 145, S. 149).
Anträge auf Änderung bestandskräftiger Festsetzungen auf Grund des o.g. EuGH-Urteils vom 17.2.2005, die die Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen aus Geldspielautomaten zum Ziel haben, sind daher aus den vorgenannten Gründen abzulehnen (übernommen von der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin).
Normenkette
UStG § 4 Nr. 9 Bu...