FinBeh Hamburg, Erlaß v. 15.8.2005, 51 - S 7165 - 001/03
BFH-Urteil vom 12.5.2005, V R 7/02, Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 17.2.2005, verbundenen Rechtsachen C-453/02 und C-462/02
Rechtslage und schwebendes Gesetzgebungsverfahren
Nach dem o.a. BFH-Urteil, das demnächst im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht wird, können sich Unternehmer bei den von ihnen mit Geldspielautomaten ausgeführten Umsätzen auf die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie berufen. Die Frage der Vergleichbarkeit zwischen diesen Umsätzen und den Umsätzen in den Spielbanken kommt keine Bedeutung zu. Die Tatsache, dass Spielbanken einer Spielbankabgabe unterliegen, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Auf Initiative der Bundesregierung hat der Bundestag am 30.6.2005 das Zwanzigste Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes mit dem Ziel einer Umsatzbesteuerung aller Geldspielgeräteumsätze ab 1.7.2005 beschlossen. Diesem Gesetz hat der Bundesrat jedoch nicht zugestimmt (Sitzung am 8.7.2005). Die Bundesregierung hat daraufhin den Vermittlungsausschuss angerufen, der voraussichtlich am 5.9.2005 tagen wird.
Offene Fälle
Viele Unternehmer, die bisher Geldspielgeräteumsätze der Steuer unterworfen und vorangemeldet hatten, haben nach bekannt werden der o.a. EuGH-Verfahren bei den Finanzämtern sich ebenfalls auf die genannte Befreiungsvorschrift der 6. EG-Richtlinie berufen und sowohl Aufhebung der bisherigen Steuerfestsetzung als auch Erstattung der danach zuviel entrichteten Umsatzsteuer beantragt.
Die Finanzbehörde bittet, in diesen Fällen wie folgt zu verfahren:
a) Nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen
Soweit eine Steuerfestsetzung noch nicht bestandskräftig ist, sind Erstattungsanträgen stattzugeben und die Festsetzungen aufzuheben. Dabei ist zu beachten, dass die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie gleichzeitig nach Art. 17 der 6. EG-Richtlinie den Vorsteuerabzug ausschließt. Dies kann in noch nicht bestandskräftigen Fällen dazu führen, dass ein bereits ausgezahlter Vorsteuerüberhang zurückzufordern ist.
b) Eingeschränktes Vorsteuerabzugsrecht
Da die betroffenen Unternehmer bisher von der Steuerpflicht ihrer Umsätze ausgingen, dürften sie in der Regel keine getrennten Aufzeichnungen der steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze und der jeweils zuzurechnenden Vorsteuerbeträge vorgenommen haben. Deshalb ist bei Prüfung der Erstattungsanträge eine nachträgliche Aufteilung der Vorsteuerbeträge anzufordern und gegebenenfalls eine sachgerechte Schätzung vorzunehmen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen neben den Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit auch andere Spielgeräte, die der reinen Unterhaltung dienen, zum Angebot des Unternehmers gehören. Die Umsätze mit den letztgenannten Geräten unterliegen nach wie vor der Umsatzsteuer.
Weiter ist nach Veröffentlichung des o.a. BFH-Urteils zu prüfen, ob eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gem. § 15a UStG wegen Änderung der Verwendung vorzunehmen ist.
c) Verrechnung der Erstattungsguthaben
Vor Erstattung eines Umsatzsteuerguthabens ist zu prüfen, ob Rückstände bei anderen Steuerarten bestehen. Hierfür ist nicht nur Rücksprache mit der Vollstreckungsstelle des eigenen Finanzamtes, sondern auch mit der des Finanzamtes für Verkehrsteuern und Grundbesitz (insbesondere wegen der Spielgerätesteuer!) zu halten.
d) Keine Anwendung der „Emmott'schen Fristenhemmung”
Aus dem Gemeinschaftsrecht (und auch der AO) folgt kein Anspruch der Steuerpflichtigen auf Änderung bereits bestandskräftig gewordener Umsatzsteuerbescheide. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass – soweit keine gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften bestehen – das nationale Verfahrensrecht anzuwenden ist. Dies gilt allerdings mit der Einschränkung, dass bei gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalten das nationale Recht im Vergleich zu nationalen Sachverhalten nicht diskriminierend angewendet und die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts nicht praktisch unmöglich gemacht werden darf.
Der EuGH hat in Konkretisierung dieser Grundsätze für nationale Regeln über die Bestandskraft in seinem Urteil vom 13.1.2004 (Rs C-453/00 – Kühne & Heitz NV – HFR 2004 S. 488) festgestellt: Der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichtet eine Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom EuGH vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen Rechnung zu tragen, wenn
- die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurück zu nehmen,
- die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichtes bestandskräftig geworden ist,
- das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des EuGH zeigt, auf der unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der EuGH um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 234 Abs. 3 EG erfüllt war,...