Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 1 Abs. 1 AStG mit den Diskriminierungsverboten in Art. 52 ff. und Art. 73b ff. EGV (= Art. 43 ff. und Art. 56 ff. EGV idF des Vertrags von Amsterdam) vereinbart werden kann.
Normenkette
§ 69 Abs. 3 FGO , § 1 Abs. 1 AStG
Sachverhalt
Es ging um einen Franzosen, der in Deutschland einen Betrieb unterhielt, von dem aus er Warengeschäfte mit Personengesellschaften tätigte, die in Frankreich und auf Martinique ansässig waren. An diesen Personengesellschaften war er maßgeblich beteiligt.
Das FA beanstandete die Angemessenheit der verrechneten Preise und rechnete die im Fremdvergleich ermittelten Mehrgewinne den gewerblichen Einkünften gem. § 1 Abs. 1 AStG hinzu. Der Steuerpflichtige legte dagegen Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Gewährung von AdV lehnten sowohl das FA als auch das FG ab, weil die Gemeinschaftsrechtmäßigkeit von § 1 Abs. 1 AStG nicht ernstlich in Zweifel stehe.
Entscheidung
Der BFH sah Letzteres anders. Es sei durchaus ernstlich zweifelhaft, ob die Hinzurechnungsbesteuerung keine diskriminierende Wirkung zu Lasten solcher Steuerpflichtigen habe, die Geschäfte mit nahestehenden Geschäftspartnern in einem anderen EU-Mitgliedstaat tätigten.
Ein Steuerpflichtiger, der vergleichbare Geschäfte im Inland betreibe, stehe sich besser. Zwar könne der deutsche Fiskus bei einem solchen Geschäft davon ausgehen, dass der Empfänger geringere Betriebsausgaben für das Geschäft aufwenden müsse; Gewinnminderung hier und fehlende Gewinnerhöhung dort glichen sich also letztlich aus.
Es sei aber fraglich, ob eine solche "Zusammenschau" innerhalb der EU zulässig sei. Es spreche viel dafür, dass es dem EuGH nur auf die Belastung des einzelnen Unternehmens ankomme. Auch die derzeit fehlende Harmonisierung der direkten Steuern in der EU und etwaige abkommensrechtliche Regelungen rechtfertigten die Hinzurechnung nicht, weil der gemeinschaftsrechtliche Blickwinkel in jedem Fall übergeordnet sei.
Hinweis
1. Erst vor wenigen Wochen wurde in dieser Zeitschrift (in BFH – PR Heft 8/2001, 265) die EU-Verträglichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 1 Abs. 1 AStG in Frage gestellt. Denn der BFH hatte in seinem Urteil vom 29.11.2000, I R 85/99 doch recht deutlich anklingen lassen, dass er hier gewichtige Zweifel haben dürfte. Dies hat sich jetzt mit dem vorliegenden AdV-Beschluss bestätigt: Im Gegensatz zu dem FG geht der BFH davon aus, dass diese Zweifel sich nicht ohne weiteres beseitigen lassen und dass es Sache des EuGH sein wird, sie zu bestätigen oder aber zu beseitigen.
Im Ergebnis erweist sich einmal mehr, dass die Sensibilität gegenüber gemeinschaftsrechtlichen Fragestellungen deutlich gewachsen ist. Verwaltung und Gerichte werden sich darauf einzustellen haben, dass innerhalb der EU "Inlandsbedingungen" herrschen!
2. Für Sie bedeutet dies vorerst: Steht Ihr Mandant vom Inland aus in Geschäftsbeziehungen zu einem ihm nahestehenden Unternehmen innerhalb der EU, rügt das FA die Angemessenheit der vereinbarten Verrechnungspreise und nimmt es deswegen Hinzurechnungen vor, sollten Sie sich auf den AdV-Beschluss berufen. Einschlägige Steuerbescheide sind offen zu halten. Da zu vermuten ist, dass das FG in dem dem Beschlussfall zugrunde liegenden Verfahren, den ihm zugeworfenen Ball aufgreifen und kurzfristig den EuGH anrufen wird, sollte es bereits jetzt gerechtfertigt sein, wenn weitere Verfahren bis dahin ruhen und AdV gewährt wird.
3. Unabhängig von der Hinzurechnungsbesteuerung sei noch auf zwei weitere aktuelle Bereiche hingewiesen, die sich derzeit auf dem europarechtlichen "Prüfstand" befinden: Es ist dies zum einen der Mindeststeuersatz für beschränkt Steuerpflichtige, den der BFH erst kürzlich ebenfalls als gemeinschaftsrechtlich zweifelhaft angesehen hat (vgl. den AdV-Beschluss vom 5.2.2001, I B 140/00, BFH-PR 2001, 141). Es ist dies zum anderen die EU-Verträglichkeit des § 8a KStG – einer Frage, zu der der EuGH bereits angerufen wurde (FG Münster, Beschluss vom 21.8.2000, FR 2000, 1214). Trotz dieser Anrufung ist dazu derzeit beim BFH noch ein AdV-Verfahren anhängig (Az. I B 33/01), weil das zuständige FA die AdV nur gegen eine Sicherheitsleistung gewähren wollte.
4. All diesen diskriminierungsverdächtigen Fällen kommt naturgemäß in erster Linie – nur – Relevanz für EU-Mitgliedsstaaten sowie EU-assoziierten Staaten zu. Allerdings sind auch im Verhältnis zu anderen Staaten abkommensrechtliche Diskriminierungsverbote und sonstige zwischenstaatliche Verträge (wie z.B. der Freundschaftsvertrag mit den USA) und nicht zuletzt das allgemeine Gleichheitsgebot des Art. 3 GG zu beachten. Insofern kommt der möglichen Europarechtswidrigkeit erhebliche Ausstrahlungswirkung zu.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 21.6.2001, I B 141/00