Leitsatz
Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.
Normenkette
§ 34 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 69 Satz 1, § 171 Abs. 10, § 191 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 4, § 238 AO, § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, § 295 ZPO, § 115 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Der Kläger war seit der Gründung der GmbH bis zum 24.4.2012 deren Geschäftsführer und zu 90 % an dieser beteiligt. Faktischer Geschäftsführer war sein Sohn.
Nach einer Steuerfahndungsprüfung ergingen Änderungsbescheide, die dem Nachfolgegeschäftsführer gegenüber bekannt gegeben worden sind. Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren wurde gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt, der Sohn wurde u.a. wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt.
Da die GmbH zahlungsunfähig war, nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid für die ausstehenden Steuern und die hierauf entfallenden Nachzahlungszinsen, die bis Juni 2012 angefallen waren, in Anspruch.
Im Einspruchsverfahren reduzierte das FA die Haftungssumme nach Schätzung einer Haftungsquote von 82,39 % und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet ab.
Die Klage hatte keinen Erfolg (FG Münster, Urteil vom 30.4.2019, 12 K 620/15, Haufe-Index 13218582, EFG 2019, 1257).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des Klägers gemäß § 126a FGO einstimmig als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Im Streitfall ging es um die Haftung eines Geschäftsführers für Steuerschulden der GmbH wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen und Abgabe unzutreffender Steuererklärungen nach § 69 Satz 1 AO, § 34 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG.
Der Kläger konnte sich nicht dadurch entlasten, dass tatsächlich sein Sohn die Geschäfte geführt hat. Denn das FG hatte hierzu festgestellt, dass sich der Kläger um die Geschäftsführung der GmbH tatsächlich nicht gekümmert und auch keine geeigneten Aufsichtsmaßnahmen ergriffen hatte. So konnte er nicht sicherstellen, dass die steuerlichen Pflichten der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt werden.
Auch das fortgeschrittene Alter und sein Einwand, dass er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen, standen nach Ansicht des BFH der Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung nicht entgegen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme des Geschäftsführeramtes absehen bzw. dieses Amt niederlegen.
Diese Ausführungen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des BFH. Betont wird nochmals die besondere Verantwortung eines Geschäftsführers. Dieses Haftungsrisiko muss jedem Geschäftsführer bewusst sein.
2. Das Urteil des FG erging zeitlich noch vor der Entscheidung des BVerfG zu den Nachzahlungszinsen nach § 233a AO. Nunmehr entschied der BFH unter Verweis auf diese Entscheidung (BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, Rz. 101, 140, 147 ff. und 221 ff., BVerfGE 158, 282, BFH/NV 2021, 1455), dass die in § 238 AO festgelegte Höhe der Zinsen für die bis in das Jahr 2013 fallenden Zinszeiträume verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.
3. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass der BFH eingangs des Beschlusses zu der Beschränkung der Revisionszulassung durch das FG auf die Haftung für Zinsen Stellung genommen hat. Das FG hatte nämlich in den Entscheidungsgründen zwar zur Begründung der Revisionszulassung allein auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des in § 238 AO auf 6 % festgelegten Zinssatzes verwiesen, im Tenor hieß es jedoch: "Die Revision wird zugelassen."
Es gilt der Grundsatz der Vollrevision. Und wegen des in Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit muss eine Beschränkung der Revisionszulassung ausdrücklich und eindeutig ausgesprochen werden. Das hat der BFH im Streitfall verneint und keine Beschränkung auf die Haftung für Zinsen angenommen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 15.11.2022 – VII R 23/19