1.1 Frühere BFH-Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung
Zum Vorsteuerabzug berechtigt ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH derjenige, der als Empfänger einer Leistung (Leistungsempfänger) anzusehen ist. Unmaßgeblich für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug ist die Frage, wer die Kosten getragen hat. Leistungsempfänger ist grundsätzlich die Person, die aus dem schuldrechtlichen (zivilrechtlichen) Vertragsverhältnis, das dem Leistungsaustausch zugrunde liegt, berechtigt oder verpflichtet ist. Dies ist in aller Regel der Auftraggeber oder Besteller einer Leistung.
Früher haben sowohl der BFH als auch die Verwaltung einhellig die Auffassung vertreten, dass bei gemeinschaftlichem Leistungsbezug im Zusammenhang mit der Errichtung von Gebäuden nur die Gemeinschaft (Ehegattengemeinschaft) Leistungsempfänger und damit vorsteuerabzugsberechtigt sein kann. Dies galt z. B., wenn beide Ehegatten die Bauhandwerker usw. beauftragten und dementsprechend die Rechnungen über die Bauleistungen auf den Namen der Ehegatten lauteten.
Falls die Ehegattengemeinschaft mangels eigener Umsätze selbst kein Unternehmer i. S. d. § 2 UStG sei, könne der Unternehmer-Ehegatte mangels Leistungsbezugs überhaupt keinen Vorsteuerabzug aus derartigen Bauvorhaben in Anspruch nehmen. Nach dieser inzwischen überholten Rechtsauffassung konnte somit weder die Ehegattengemeinschaft (weil sie keine Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG erlangte) noch der Unternehmer-Ehegatte (weil nicht er, sondern die Ehegattengemeinschaft die Bauleistungen empfangen hat) einen Vorsteuerabzug aus den Baukosten des Gebäudes in Anspruch nehmen.
1.2 Änderungen der BFH-Rechtsprechung
1.2.1 Erstmalige Änderung der BFH-Rechtsprechung im Jahr 1998
Erstmals im Jahr 1998 änderte der BFH seine Rechtsprechung. Er geht nunmehr davon aus, dass bei gemeinsamer Auftragsvergabe durch eine Bruchteilsgemeinschaft (z. B. eine Ehegattengemeinschaft) die Gemeinschafter anteilig Leistungsempfänger der der Bruchteilsgemeinschaft in Rechnung gestellten Leistungen geworden sind, wenn die Bruchteilsgemeinschaft selbst keine Umsätze ausführt.
Der BFH sieht bei einem Bauvorhaben von Ehegatten auf einem ihnen zu je ½ gehörenden unbebauten Grundstück, das von der Ehegattengemeinschaft als solcher nicht verwendet wird, beide Eheleute als Leistungsempfänger an. Allerdings gesteht er dem Unternehmer-Ehegatten, der das gesamte Gebäude für seine unternehmerischen Zwecke nutzte, lediglich die Hälfte des Vorsteuerabzugs zu, während die andere Hälfte verloren geht.
Für den anteiligen Vorsteuerabzug des Unternehmer-Ehegatten reichen nach der BFH-Rechtsprechung die auf den Namen beider Eheleute ausgestellten Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis – auch ohne betragsmäßige Aufteilung je Ehegatten – aus.
1.2.2 Weitere Änderung der BFH-Rechtsprechung ab dem Jahr 2018
Ende 2018 hat der BFH – in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung – entschieden, dass eine Bruchteilsgemeinschaft i. S. d. §§ 741 ff. BGB (hierzu gehören auch Ehegattengemeinschaften) mangels zivilrechtlicher Rechtsfähigkeit kein Unternehmer i. S. d. § 2 UStG sein kann. Diese Rechtsprechung hat der BFH nachfolgend bekräftigt. Nach dieser nochmals geänderten BFH-Rechtsprechung liegen bei Bruchteilsgemeinschaften zivil- und umsatzsteuerrechtlich durch die Gemeinschafter als jeweilige Unternehmer anteilig erbrachte Lieferungen und sonstige Leistungen vor (Ausgangsseite). Diese Beurteilung wirkt sich auch auf den Vorsteuerabzug aus (Eingangsseite), weil nicht die Bruchteilsgemeinschaft selbst, sondern lediglich der einzelne Gemeinschafter als Leistungsempfänger vorsteuerabzugsberechtigt sein kann. Der BFH geht nunmehr davon aus, dass bei gemeinsamer Auftragsvergabe durch eine Bruchteilsgemeinschaft (z. B. eine Ehegattengemeinschaft) die Gemeinschafter stets anteilig Leistungsempfänger der der Bruchteilsgemeinschaft in Rechnung gestellten Leistungen geworden sind. Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung galt dies nur, wenn die Bruchteilsgemeinschaft selbst keine Umsätze ausführte.
Die neue BFH-Rechtsprechung hat erhebliche Auswirkungen insbesondere auf den Vorsteuerabzug von Ehegatten, denen gemeinsam ein bebautes Grundstück gehört oder die auf einem ihnen gemeinsam gehörenden unbebauten Grundstück ein Gebäude errichten, welches ganz oder teilweise unternehmerisch genutzt wird. Die Verwaltung hat die neue BFH-Rechtsprechung nicht im BStBl II veröffentlicht. Damit durften die Finanzämter diese neue BFH-Rechtsprechung nicht anwenden. Vielmehr sind die Finanzämter an die Anweisungen im UStAE gebunden. In der Literatur ist das BFH-Urteil vom 22.11.2018 teilweise auf heftige Kritik gestoßen. Stimmen in der Literatur forderten das BMF auf, das BFH-Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Au...