Leitsatz
Das Ergebnis einer erst im Hauptsacheverfahren durchzuführenden Beweiserhebung darf im PKH-Verfahren im Allgemeinen nicht prognostisch vorweggenommen werden. Das gilt insbesondere bei der Notwendigkeit der erstmaligen Vernehmung eines Zeugen.
Normenkette
§ 142 FGO, § 114 ZPO
Sachverhalt
Dem Kläger war ein Bescheid des FA durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden, weil in seiner Wohnung angeblich niemand angetroffen worden war. Der Kläger versäumte die Einspruchsfrist und trug vor, während des Zeitraums des angeblichen Zustellungsversuchs sei sein Ehepartner in der Wohnung anwesend gewesen und hätte ein Klingeln des Postboten bemerkt. Außerdem sei eine Mitteilung über die Niederlegung der Sendung nicht erfolgt.
Entscheidung
Der BFH bejaht für die Gewährung von PKH ausreichende Erfolgsaussichten der Klage, die sich (isoliert) gegen die Einspruchsentscheidung des FA richtete, das den Einspruch als unzulässig verworfen hatte.
PKH sei zu gewähren, wenn das Gericht von der Möglichkeit der Beweisführung im Hauptsacheverfahren überzeugt ist. Ob die im Streitfall zur Entkräftung einer Postzustellungsurkunde erforderliche Gewissheit auf Grund der Bekundungen des Ehepartners des Klägers vom Gericht gewonnen werden könne, lasse sich erst beurteilen, wenn der Zeuge angehört worden ist. Das Ergebnis dürfe nicht vorweggenommen werden.
Das angebotene Beweismittel sei zum Beweis des Gegenteils der in der Postzustellungsurkunde bekundeten Tatsachen geeignet. Allerdings sei eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich, ob den Bekundungen des Ehepartners über die örtlichen Gegebenheiten sowie seinen Aufenthalt und seine Tätigkeit im Zustellungszeitpunkt und seinen Bekundungen über die angebliche Durchsicht des Briefkasteninhalts ("mit äußerster Sorgfalt") geglaubt werden könne. Was sich dazu ergebe, lasse sich jedoch nicht hinreichend sicher voraussehen. Außerdem komme eine ergänzende Vernehmung des Postzustellers in Betracht, damit dessen Zuverlässigkeit und Sorgfalt in die Beweiswürdigung mit einbezogen werden könne.
Eine nähere Substantiierung seines Sachvortrags sei von dem Kläger nicht zu verlangen gewesen, weil sie ihm nicht möglich sei; er könne nicht wesentlich mehr vortragen, als dass sich sein Ehepartner in der Zeit des angeblichen Zustellungsversuchs in der Wohnung aufgehalten hat, dass die Klingel in Funktion gewesen sei und dass er sie angesichts seiner damaligen Beschäftigung hätte wahrnehmen müssen, wenn sie betätigt worden wäre; ferner dass der Briefkasteninhalt Stück für Stück durchgesehen worden sei. Der Kläger könne insbesondere keine näheren Angaben darüber machen, was der Zeuge im Einzelnen aussagen werde.
Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liege nicht vor. PKH könne auch nicht deshalb versagt werden, weil selbst bei der vom Zeugen erwarteten Aussage der Schluss auf die Haupttatsache, die nicht ordnungsgemäße Zustellung, nicht gezogen werden könne. Der Tatrichter habe einen solchen Schluss nicht gezogen oder sei zumindest rechtsirrtümlich davon ausgegangen, er dürfe den Schluss auf die Haupttatsache nur ziehen, sich über die Postzustellungsurkunde also nur hinwegsetzen, wenn die Aussage des Zeugen zwingend deren Richtigkeit ausschließe.
Hinweis
Für einen erfolgreichen PKH-Antrag müssen Sie glaubhaft machen, dass Ihnen die Beweisführung im Hauptsacheverfahren gelingen wird. Auch in tatsächlicher Hinsicht darf das FG also im PKH-Verfahren Ihre Erfolgschancen prüfen.
Unbeschadet dessen besteht jedoch das Verbot einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung, die erst im Hauptsacheverfahren stattzufinden hat. Kommt es auf eine Zeugenvernehmung an, so ist eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung nur dann zulässig, wenn das Ergebnis der Zeugenvernehmung ausnahmsweise bereits mit einiger Sicherheit von vornherein feststeht, etwa, weil der Zeuge bereits im Verwaltungsverfahren vernommen worden ist und es an jedem triftigen Grund (und Vortrag ihrerseits dazu) fehlt, warum er bei einer gerichtlichen Vernehmung etwas anderes aussagen wird.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 31.8.2000, VII B 181/00