Leitsatz
Die Art. 43 und 48 EG stehen beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft allgemein verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt.
Es verstößt jedoch gegen die Art. 43 und 48 EG, der gebietsansässigen Muttergesellschaft eine solche Möglichkeit dann zu verwehren, wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und wenn keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden.
Normenkette
Art. 43, Art. 48 EG
Sachverhalt
Es ging um das EuGH-Vorabentscheidungsersuchen des britischen High Court of Justice im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Marks & Spencer plc und die britischen Steuerbehörden (in concreto gegen David Halsey als Her Majesty"s Inspector of Taxes). Marks & Spencer hatten in UK den Abzug von Verlusten der in Belgien, Deutschland und Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften vom steuerpflichtigen Gewinn der britischen Muttergesellschaft beantragt, nachdem sie beschlossen hatte, sich aus ihrem kontinentaleuropäischen Geschäft zurückzuziehen und nachdem sie deswegen die Tochtergesellschaften an Dritte verkauft und die übrigen Tochtergesellschaften bzw. nachdem diese ihre Betriebe eingestellt hatten. Eine solche Verlustübertragung war allerdings nach den Regeln des britischen group relief nur zwischen inländischen Gesellschaften möglich. Der High Court hatte daraufhin das Verfahren ausgesetzt und das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt, ob der Ausschluss des Verlustabzugs bezogen auf die Tochtergesellschaften in Einklang mit dem Europarecht stehe.
Entscheidung
Der EuGH hat zwar – erwartungsgemäß – bestätigt, dass jener Abzugsausschluss gegen die in Art. 43 und 48 EG garantierte Niederlassungsfreiheit verstoße, er hat sodann aber doch die "Notbremse" gezogen und die Ungleichbehandlung weitgehend als gerechtfertigt angesehen. Einzelheiten ergeben sich für Sie aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
Mit der nunmehr vorliegenden Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer waren in der Fachöffentlichkeit (vielleicht: über-) große Erwartungen verknüpft worden. Man erhoffte sich augenscheinlich "den" Durchbruch für einen intereuropäischen unbegrenzten (Gewinn- und) Verlust-Transfer. Es kam aber, wie nunmehr gewiss ist, anders:
1. Der EuGH hat zwar – erwartungsgemäß – bestätigt, dass es gegen die europarechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit verstößt, wenn ein Mitgliedstaat (hier das Vereinigte Königreich) innerhalb einer Konzerngruppe den Abzug der Verluste von Tochtergesellschaften bei der Muttergesellschaft nur dann ermöglicht, wenn es sich um inländische Verluste handelt (hier nach Maßgabe des britischen group relief).
2. Er hat das jedoch unter einen gleich dreifachen Rechtfertigungsvorbehalt gestellt:
×Zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten könne es erforderlich sein, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem Staat niedergelassenen Gesellschaft sowohl hinsichtlich der Gewinne als auch der Verluste nur dessen nationales Recht anzuwenden. Andernfalls – bei der Option zur Verlustberücksichtigung in dem anderen Staat – sieht der EuGH eine erhebliche Beeinträchtigung für die ausgewogene Aufteilung der wechselseitigen Besteuerungsrechte.
×Der EuGH sieht weiterhin die Notwendigkeit, eine doppelte Verlustberücksichtigung, den sog. double dip, zu verhindern. Das Verlustabzugsverbot helfe, das zu tun.
×Schließlich berge der grenzüberschreitende Verlusttransfer im Konzern die Gefahr der Steuerflucht, indem Verluste in den höchstbesteuernden und Gewinne in den niedrigstbesteuernden Staat "verschoben" werden.
3. Fazit: Verlustabzugsbeschränkungen der genannten Art stellen ein berechtigtes Mittel dar, sind mit dem EG-Vertrag prinzipiell vereinbar, entsprechen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und sind zur Zielerreichung geeignet. Der EuGH hat den Abzugsausschluss ausdrücklich als solchen und als taugliche gesetzgeberische Reaktion anerkannt und ebenfalls ausdrücklich weniger einschneidende Maßnahmen (wie z.B. die Verlustberücksichtigung mit einer etwaigen späteren Nachbesteuerung) einer derzeit ausstehenden gemeinschaftsrechtlichen Steuerharmonisierung vorbehalten!
4. Eine Einsc...