Leitsatz
Eine Anschaffung bzw. Veräußerung i.S. des § 23 EStG liegt nicht vor, wenn der Verlust des Eigentums am Grundstück ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfindet. Ein Entzug des Eigentums durch Sonderungsbescheid nach dem Bodensonderungsgesetz ist danach keine Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Sätze 1, 7 und 8 EStG, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Der Kläger war Eigentümer eines unbebauten Grundstücks in Innenstadtlage. Im Jahr 2008 führte die Stadt ein Bodensonderungsverfahren durch und überführte das Grundstück in ihr Eigentum. Der Kläger wurde finanziell entschädigt. Die Entschädigungssumme überstieg seine Anschaffungskosten. Das FA erfasste deshalb bei dem Kläger einen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft.
Entscheidung
Das FG (FG Münster, Urteil vom 28.11.2018, 1 K 71/16 E, Haufe-Index 12556941, EFG 2019, 98) hat der Klage stattgegeben. Der BFH hat das Urteil des FG bestätigt und die Revision des FA zurückgewiesen.
Hinweis
In der Besprechungsentscheidung bestätigt der BFH erneut das enge Verständnis des Veräußerungsbegriffs bei § 23 EStG. Die Norm erfasst nicht jeden Realisationsvorgang, sondern nur Ergebnisse wirtschaftlicher Betätigung. Eine Veräußerung unter Zwang (zur Abwehr einer drohenden Enteignung) wird ebenso wenig erfasst wie die Enteignung selbst.
1. Grundsätzlich sind die Begriffe Anschaffung und Veräußerung im EStGeinheitlich auszulegen. Auch im Anwendungsbereich des § 23 EStG richtet sich ihr Verständnis vor allem nach dem Handelsrecht (§ 255 Abs. 1 HGB).
2. Der Besprechungsfall illustriert jedoch anschaulich, dass die Rechtsprechung dabei nicht stehen bleibt.
a) So wird im betrieblichen Bereich auch die zwangsweise Realisierung (etwa durch Enteignung) gewinnerhöhend berücksichtigt; der Veräußerungsbegriff (§ 16 EStG) schließt dort auch Fälle eines entgeltlichen Rechtsträgerwechsels ein, die gegen oder ohne den Willen des Betroffenen eintreten.
b) Anders ist dies im Anwendungsbereich des § 23 EStG. Hier gehört eine willentliche Betätigung des Betroffenen zum Tatbestand der Veräußerung. Der Betroffene muss sich wirtschaftlich betätigt haben. Der realisierte Gewinn oder Verlust muss sich als Ergebnis dieser wirtschaftlichen Betätigung darstellen. Ein entgeltlicher Rechtsträgerwechsel, der ohne oder gegen den Willen des Betroffenen eingetreten ist, genügt nicht.
3. Zur Begründung greift der BFH weit aus:
a) Er verweist zunächst auf den Wortlaut der Norm, die ein "Veräußerungsgeschäft" verlangt. Geschäft ist aber nur eine vom (freien) Willen getragene Rechtsfolge.
b) Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt sich nichts anderes. Bei ihrer Einführung stellte die Reichsregierung ausdrücklich klar, dass Zwangsenteignungen nicht erfasst werden sollten.
c) Hinzu kommt eine systematische Erwägung: Während betriebliche Verluste unbeschränkt ausgleichsfähig sind, unterliegt der Ausgleich von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften Beschränkungen. Die Rechtfertigung dafür ist nach der Rechtsprechung, dass der Steuerpflichtige durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts der Besteuerung ausweichen kann. Bei einer Enteignung ist das anders. Es erscheint deshalb systematisch richtig, die Enteignung bei § 23 EStG nicht zu erfassen.
d) Abzugrenzen ist die Enteignung von der Zwangsversteigerung. Hier erwirbt der Bieter das Eigentum zwar kraft Gesetzes durch den Zuschlagsbeschluss, aber mit seinem Willen (Gebot). Der Vollstreckungsschuldner mag den Vorgang als äußeren Zwang empfinden; dazu kommt es jedoch nur auf der Grundlage eines ihm rechtsgeschäftlich zurechenbaren Vorgeschehens, sodass sich der Eigentumsverlust auch bei ihm als letzte Konsequenz aus einer wirtschaftlichen Betätigung darstellt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.7.2019 – IX R 28/18