Leitsatz
Arbeitslohn (hier: Entlassungsentschädigung) fließt dem Arbeitnehmer auch dann nicht zu, wenn die Vereinbarung über die Zuführung zu einem Wertguthaben des Arbeitnehmers oder die vereinbarungsgemäße Übertragung des Wertguthabens auf die DRV Bund sozialversicherungsrechtlich unwirksam sein sollten, soweit alle Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen lassen (Anschluss an BFH-Urteile vom 22.02.2018 – VI R 17/16, BFHE 260,532, BStBl II 2019, 496 und vom 04.09.2019 ‐ VI R 39/17, BFH/NV 2020, 85).
Normenkette
§ 11 Abs. 1 Satz 4, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 38 Abs. 3 Satz 3, § 38a Abs. 1 Satz 3, § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 7f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV, § 41 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin schloss als Arbeitgeberin Aufhebungs- und Abfindungsvereinbarungen mit mehreren Mitarbeitern. Darin bot sie an, die Entlassungsentschädigung auf Antrag ganz oder zum Teil dem Langzeitkonto des Arbeitnehmers zuzuführen und dieses auf Antrag des Arbeitnehmers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die DRV Bund zu übertragen. Die Arbeitnehmer nahmen das Angebot in unterschiedlichem Umfang an. Die Klägerin überwies die entsprechenden Beträge nicht mehr an die für die Langzeitkonten eingerichtete Versicherung, sondern direkt an die DRV Bund. Alle Beteiligten, auch die DRV Bund, gingen von der Wirksamkeit des Vereinbarten aus. Einige Mitarbeiter erhielten nach Erreichen der Auszahlungsvoraussetzungen lohnversteuerte Auszahlungen aus den Wertguthaben von der DRV Bund.
Das FA war der Auffassung, eine Entlassungsentschädigung könne nicht wirksam einem Wertguthaben zugeführt werden. Die Unwirksamkeit habe zur Folge, dass der Lohn dem Arbeitnehmer zugeflossen und die LSt entstanden sei. Das FA nahm die Klägerin deshalb für nicht einbehaltene und nicht abgeführte LSt in Haftung.
Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.6.2021, 4 K 4206/18, Haufe-Index 14811454, EFG 2021, 1932). Nur eine wirksame Wertguthabenvereinbarung könne den Zufluss hinausschieben. Daran fehle es. Gleiches gelte für die Übertragung der Wertguthaben auf die DRV Bund. Ein Treuhandverhältnis sei im Verhältnis zur DRV Bund nicht wirksam begründet worden. Auch daraus ergebe sich der Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer.
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das angefochtene Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Unter den gegebenen Umständen (§ 41 AO) kam es auf die Wirksamkeit des Vereinbarten nicht an. Da alle Beteiligten die Vereinbarungen als wirksam behandelt hatten, ist auch für die Besteuerung davon auszugehen. Damit fehlt es bis zur Auszahlung durch die DRV Bund am Zufluss von Arbeitslohn bei den Arbeitnehmern; LSt war nicht entstanden.
Hinweis
Haftet der Arbeitgeber für nicht einbehaltene und nicht abgeführte LSt, wenn er vereinbarungsgemäß Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes ganz oder zum Teil den Langzeitkonten der ausscheidenden Arbeitnehmer zuführt und die Wertguthaben anschließend auf die DRV Bund überträgt? Umstritten ist dabei, ob Abfindungen einem Langzeitkonto überhaupt wirksam zugeführt werden dürfen/können. Diese primär sozialrechtliche Frage konnte der BFH im vorliegenden Fall offenlassen. Aus folgenden Gründen:
1. Wäre die Zuführung einer Entlassungsentschädigung zu einem Wertguthaben des Arbeitnehmers rechtlich zulässig und wirksam, läge eine Entgeltumwandlung vor, die ertragsteuerlich den gegenwärtigen Zufluss von Arbeitslohn verhindert bzw. hinausschiebt.
a) Durch die Zuführung von Arbeitslohn zu einem Wertguthabenkonto wird der Anspruch des Arbeitnehmers nicht erfüllt. Vielmehr erwirbt der Arbeitnehmer anstelle des fälligen Lohnanspruchs einen noch nicht fälligen Anspruch auf zukünftige Lohnzahlung gegen den Arbeitgeber.
b) Zum Zufluss führt auch nicht der Abschluss der Vereinbarung über die Zuführung von Lohnbestandteilen zu einem Wertguthabenkonto (sog. Wertguthabenvereinbarung). Darin liegt weder eine zum Zufluss führende Novation noch eine Lohnverwendungsabrede. Das ist in der Rechtsprechung des VI. Senats geklärt.
c) Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber den zur Erfüllung des zukünftig fällig werdenden Anspruchs erforderlichen Geldbetrag von seinem Vermögen separiert und ihn unter Auflagen auf einen Treuhänder (i.d.R. Versicherung) überträgt. Wird das Arbeitsverhältnis beendet und das Wertguthaben nicht auf einen neuen Arbeitgeber übertragen, kann es der DRV Bund zugeführt werden. Zahlt diese bei Vorliegen aller Voraussetzungen den aufgesparten Lohn (im Auftrag und für Rechnung des Arbeitgebers) an den ehemaligen Arbeitnehmer aus, hat sie die LSt einzubehalten und abzuführen. Bis dahin fehlt es an einem Zufluss beim Arbeitnehmer und entsteht keine LSt.
2. Nichts anderes (kein Zufluss von Arbeitslohn) ergibt sich, wenn die Zuführung der Entlassungsentschädigung zum Wertguthaben des Arbeitnehmers nicht zulässig und nicht wirksam war. Auch in diesem Fall kommt es – nach allgemeinen Grundsätzen – nicht zum Zufluss von Arbeitslohn beim Arb...