rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Besorgnis der Befangenheit des im Ausgangsverfahren beisitzenden Richters im Wiederaufnahmeverfahren bei Vorwurf eines krassen Fehlurteils und objektiver Rechtsbeugung
Leitsatz (redaktionell)
Eine Besorgnis der Befangenheit ist im Wiederaufnahmeverfahren regelmäßig zu bejahen, wenn die Restitutionsklage auf eine strafbare Verletzung der Amtspflicht des abgelehnten Richters (hier Beisitzerin im Ausgangsverfahren) gestützt wird.
Normenkette
FGO § 51; ZPO §§ 42, 580 Nr. 5; ZPO; ZPO § 581
Streitjahr(e)
2010
Tatbestand
Der Kläger begehrt mit seiner Restitutionsklage die Wiederaufnahme des Klageverfahrens zum Aktenzeichen 10 K 2548/14.
Mit Urteil des erkennenden Senats vom 15.05.2019 (10 K 2548/14) wurde die – ursprüngliche – Klage des Klägers abgewiesen, mit der dieser sich gegen die Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer für 2010 (Bescheid vom 28.11.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.12.2014) gewendet hatte. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28.09.2020 – VIII B 102/19).
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 29.12.2022 hat der Kläger daraufhin Restitutionsklage erhoben. Zur Begründung macht der Kläger u. a. geltend, das finanzgerichtliche Urteil, dessen Wideraufnahme begehrt werde, sei ein krasses Fehlurteil. Objektiv sei darin eine Rechtsbeugung nach § 339 des Strafgesetzbuches zu sehen, weil das Finanzgericht (FG) wider besseres Wissen seine gesetzlichen Ermittlungspflichten verletzt habe. Das Vorgehen des Gerichts in dem vorangegangenen Verfahren, das die von ihm (dem Kläger) vorgelegten Bilanzen nicht als Beweis gewürdigt habe, stelle eine strafrechtlich relevante Verletzung der Ermittlungspflichten dar. Damit sei ein Restitutionsgrund nach § 586 Nr. 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben, und zwar unabhängig von der wegen der Kollegialentscheidung und des Beratungsgeheimnisses fehlenden Zurechnung einer strafbaren Handlung. Im Übrigen stelle sich die frühere Entscheidung des FG als Überraschungsurteil dar. Zudem sei die darin vorgenommene Ableitung der Vermögensbeteiligung aus einer nach inländischem Steuerrecht angelegten Steuerbilanz völlig ungeeignet.
Nach einem Hinweis des Gerichts, dass die nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Besetzung des Senats auch die Richterin am Hessischen Finanzgericht umfasse, die bereits an dem Urteil des Senats vom 15.05.2019 (Az. 10 K 2548/14) mitgewirkt habe, lehnte der Kläger diese mit Schriftsatz vom 23.11.2023 als befangen ab.
In ihrer dienstlichen Äußerung vom 27.11.2023 wies die Richterin am Hessischen Finanzgericht darauf hin, an dem Urteil vom 15.05.2019 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 10 K 2548/14 als Beisitzerin mitgewirkt zu haben; weitere Details zu diesem Verfahren seien ihr nicht mehr erinnerlich.
Der Kläger hat die Gelegenheit, zu der dienstlichen Äußerung Stellung zu nehmen, nicht wahrgenommen. Auch das FA hat davon abgesehen, hierzu Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
Das Gesuch des Klägers, die Richterin am Hessischen Finanzgericht als befangen abzulehnen, hat Erfolg.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit durch einen Verfahrensbeteiligten abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
a) Das Gesuch auf Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 der ZPO ist begründet, wenn bei vernünftiger, objektiver Betrachtung zu befürchten ist, dass der Richter aufgrund besonderer Umstände verfahrens- oder materiell-rechtlich nicht unvoreingenommen handeln könnte. Mit anderen Worten: Vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten muss die Besorgnis bestehen, der Richter könne wegen bewusster oder unbewusster Zuneigung oder Abneigung gegenüber einem Beteiligten nicht fähig sein, sachlich und unparteiisch zu entscheiden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten (vgl. insgesamt Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28.05.2001 – IV B 118/00, BFH/NV 2001, 1431, unter II.2; Schoenfeld in Gosch, Abgabenordnung – AO –/FGO, § 51 FGO Rn. 51).
b) Dabei ist die Mitwirkung an der Entscheidung, die im Wiederaufnahmeverfahren angegriffen wird, für sich allein kein Grund, einen Richter für das Wiederaufnahmeverfahren oder für ein mit ihm im Zusammenhang stehendes Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Auch für diese Verfahren gilt vielmehr, dass nur in der Person des Richters liegende individuelle Ursachen die Besorgnis seiner Befangenheit begründen könn...