Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweiserfordernis für Scheinlieferungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Hinterziehung der Umsatzsteuer führt nur dann zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs, wenn über die Umsatzsteuerhinterziehung hinaus, die lediglich das Steuerschuldverhältnis des hinterziehenden Unternehmens zum Finanzamt betrifft, Scheinlieferungen bzw. Karusselllieferungen vorliegen.
2. Die Gründung einer GmbH zum Zwecke der Umsatzsteuerhinterziehung enthält noch nicht die für die Versagung des Vorsteuerabzugs erforderlichen konkreten Anhaltspunkte dafür, dass an den Leistungsempfänger nur Scheinlieferungen ausgeführt werden.
Normenkette
UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO § 41 Abs. 2
Streitjahr(e)
1999
Tatbestand
Die Antragstellerin begehrt als Rechtsnachfolgerin der Z die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung von Steuerforderungen in der Höhe von…EUR für die Umsatzsteuervoranmeldungen Februar bis Mai 1999 und Juli bis November 1999, weil der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) zu Unrecht davon ausgehe, sie sei Beteiligte eines „Umsatzsteuerkarussells”. Nachdem das FA den Voranmeldungen Februar bis Mai und Juli und August 1999 zunächst zugestimmt und Guthaben ausgezahlt hatte und die Voranmeldungen September bis November 1999 wegen tatsächlicher Zweifel zwei Jahre nicht bearbeitet hatte, kam es unter dem Druck einer Untätigkeitsklage (6 K 4328/01) zu einem Bericht der Steuerfahndung (Steufa), dem sich das FA uneingeschränkt anschloss. Es erließ am 12. Februar 2002 Vorauszahlungsbescheide, in denen es Vorsteuern von Vorlieferanten kürzte, zusätzliche Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) festsetzte sowie eine sonstige Leistung in der Erstellung eines „paperworks” sah. Nach Einspruch und Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung unter Verweis auf den Fahndungsbericht hat die Antragstellerin die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung begehrt. Inzwischen hat das FA die Steuerforderungen teilweise durch Verrechnung mit Guthaben vollzogen.
Nach dem Bericht der Steufa vom 4. Januar 2002 (Blatt 87 der Gerichtsakten) sowie dem weiteren Sachvortrag, der erst im Verlauf des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens erfolgt ist, begründet das FA die Steueransprüche zusammenfassend im wesentlichen wie folgt:
Die Antragstellerin betreibt ihr Unternehmen von einem kleinen Büro aus im Keller des vom Geschäftsführer Y1 betriebenen Hotels mit PC, Telefon und Faxgerät. Wegen des Verdachts der Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell wurden die Geschäftsräume am 14. Dezember 1999 im Rahmen einer europaweiten Aktion (Ermittlungsverfahren StA…gegen die Geschäftsführer der Firmen A1 GmbH, A2 GmbH und A3 GmbH) durchsucht. Es bestehe der Verdacht der Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell mit Lieferungen von Handys.
1. Im folgenden beschreibt der Fahndungsbericht zunächst abstrakt den wirtschaftlichen Geschehensablauf eines „Umsatzsteuerkarussells”. Darunter verstehe man, dass die Ware in engem zeitlichen Zusammenhang von einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft ins Inland und von dort aus wieder an den Ursprungslieferanten zurückgeleitet würde. Hierbei würden jeweils Vorsteuererstattungen geltend gemacht und die Umsatzsteuer von einem Mitglied des Karussells, der als „Scheinunternehmer” oder „missing trader” bezeichnet wird, nicht abgeführt. Eine Verschaffung der Verfügungsmacht an einen Endverbraucher sei nicht beabsichtigt. Die Waren würden unter Einstandspreis weiterveräußert. Neben dem „missing trader” träten „buffer firms” zur Verschleierung des Karussells auf. Sie gäben gegen einen geringen Aufschlag ordnungsgemäße Steuererklärungen ab und machten das kriminelle Geschehen für einzelne Ermittlungsbehörden undurchschaubar. Kennzeichen einer „buffer firm” sei die explosionsartige Umsatzerhöhung neben dem normalen Tagesgeschäft. Am Ende des Karussells stünde ein „distributor”, der eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an einen „missing trader” oder ein weiteres Karussell liefere und den Vorsteuerabzug aus Lieferungen des „buffers” geltend mache.
Steuerliche Folgerungen werden wie folgt gezogen: Der „missing trader” sei kein Unternehmer, weil er nur Gefälligkeitsrechnungen über nicht erbrachte Leistungen erstelle. Folglich sei ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen des „missing traders” durch die „buffer firm” nicht möglich. Er fehle an einer Lieferung an den Abnehmer, weil die Verfügungsmacht nicht übertragen werde. Die beteiligten Firmen träten nicht wie Unternehmer im allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr auf, sie seien „gewissermaßen fremdgesteuert und nicht mehr als Eigenhändler zu betrachten.” Daher schulde der „missing trader” die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG. Auch den weiteren „buffer firms” stehe kein Vorsteuerabzug des Vorlieferanten mangels Lieferung zu und sie schuldeten die Umsatzsteuern nach § 14 Abs. 3 UStG. Zudem handele es sich in Höhe des Rechnungsaufschlages um ein verdecktes Entgelt für die Erstellung der „paperworks” als sonstige Leistung, die zusätzlich zu versteuern sei.
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