vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [III R 87/08)]
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung von Asylbewerbern die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind
Leitsatz (redaktionell)
- Für türkische Staatsangehörige besteht nach dem Vorläufigen Europäischen Abkommen vom 11. 12. 1953 über soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen (Bundesgesetzblatt II 1956, 507) Anspruch auf deutsches Kindergeld nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn sie seit wenigstens sechs Monaten in Deutschland wohnen.
- Das Abkommensmerkmal „wohnen” wird auch von Asylbewerbern erfüllt, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1, § 74 Abs. 2; SGB X § 104
Streitjahr(e)
2002
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kindergeld und in diesem Zusammenhang über einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) i. V. m. § 104 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Der klagende Landkreis ist Sozialhilfeträger. In dieser Funktion ist er unter anderem für die Hilfe zum Lebensunterhalt bei Asylbewerbern zuständig.
Mit Beschluss des 3. Senats des Hessischen Finanzgerichts vom 11.09.2008 ist
Herr C beigeladen worden. Der Beigeladene und seine Ehefrau … stammen aus der Türkei. Sie reisten am ...05.2001 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland ein. Familie C lebte seit ihrer Zuweisung in den Bereich des Klägers bis Ende 2005 in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. In Deutschland wurde am ...09.2001 das gemeinsame Kind K geboren.
Der Kläger gewährte den Eheleuten C und deren Sohn vom 01.09.2001 bis 31.7.2006 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Mit Schreiben vom 21.02.2003 machte der Kläger gegenüber der Beklagten (der Familienkasse) einen Erstattungsanspruch gem. § 104 SGB X hinsichtlich eines für das Kind K bestehenden Kindergeldanspruchs für den Zeitraum 01.09.2001 bis 31.03.2003 geltend.
Am 03.03.2003 beantragte der Beigeladene auf Veranlassung des Klägers bei der Familienkasse die Zahlung von Kindergeld für das vorgenannte Kind.
Die Familienkasse lehnte den Kindergeldanspruch gegenüber dem Beigeladenen mit Bescheid vom 08.04.2003 ab. Darüber wurde der Kläger mit Schreiben gleichen Datums informiert.
Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Beigeladene mit Schreiben vom 16.04.2003 Einspruch ein. Dieser wurde durch Einspruchsentscheidung der Familienkasse vom 15.05.2003 zurückgewiesen.
Die Ablehnung wurde in erster Linie damit begründet, dass die Voraussetzungen des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (Vorläufiges Europäisches Abkommen, BGBl. II 1956, 507) nicht vorlägen. Danach entstehe ein Kindergeldanspruch eines türkischen Staatsangehörigen erst, wenn er sechs Monate in der Bundesrepublik gewohnt habe oder er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung sei. Das sei beim Beigeladenen nicht der Fall. Durch den Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft werde das Tatbestandsmerkmal „wohnen” im Sinne des Abkommens nicht erfüllt.
Am 17.06.2003 hat der Kläger beim Hessischen Finanzgericht gegen den an den Beigeladenen gerichteten ablehnenden Bescheid der Familienkasse vom 08.04.2003 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.05.2003 Klage erhoben. Dieses Klageverfahren hat das Aktenzeichen 3 K 2236/03 erhalten.
Mit Verfügungen vom 04.08.2003 und 16.09.2003 hat der Berichterstatter des 3. Senats Bedenken an der Zulässigkeit der Klage geäußert und angeregt, dass die Familienkasse über den Erstattungsanspruch des Klägers in einem an diesen gerichteten Bescheid entscheidet.
Dieser Anregung folgend lehnte die Familienkasse den vom Kläger am 21.02.2003 geltend gemachten Erstattungsanspruch mit Verfügung vom 03.11.2003 ab. Gegen die ablehnende Entscheidung legte der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2003 „Widerspruch” ein.
Am 28.12.2004 hat der Kläger beim Hessischen Finanzgericht in dieser Sache eine weitere Klage eingelegt, die unter dem Aktenzeichen 3 K 4396/04 geführt wurde (Streitzeitraum: 02/02-12/04). Diese Klage hat der Kläger am 30.10.2006 um die Zeiträume Januar und Februar 2005 erweitert.
Ab März 2005 setzte die Familienkasse zugunsten des Beigeladenen Kindergeld fest und erstattete es an den Kläger.
Die beiden unter den Az. 3 K 2236/03 und 3 K 4396/04 anhängigen Verfahren hat der 3. Senat des Hessischen Finanzgericht durch Beschluss vom 29.07.2008 verbunden und unter dem Az. 3 K 2236/03 weitergeführt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber den Begriff des „Wohnens” im Sinne des Vorläufigen Europäischen Abkommens erfülle. Zur Begründung beruft er sich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 18.03.1999 5 C 11/98 (DVBl. 1999...