rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsverjährung bei Auswechslung der Haftungsnorm im Rechtsbehelfsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
- Stützt das Finanzamt die Haftungsinanspruchnahme zunächst auf §§ 69 AO und wechselt ist im Rechtsbehelfsverfahren auf eine Haftungsinanspruchnahme nach § 71 AO ist hinsichtlich des Eintritts der Festsetzungsverjährung die verlängerte Verjährungsfrist wegen der Haftungsinanspruchnahme nach § 71 AO im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Haftungsbescheides prüfen.
- Es ist Sinn des Rechtsbehelfsverfahrens, den ursprünglichen Bescheid zu überprüfen und gegebenenfalls nachzubessern; dabei kann die Begründung, wozu auch die Haftungsnorm gehört, im Einspruchsverfahren ausgewechselt werden.
- Ist eine Hinzuschätzung geboten, lässt das Hinnehmen einer dauerhaften Verlustsituation ohne ersichtliche Gegenmaßnahmen zu ergreifen auf eine vorsätzliche Steuerhinterziehung schließen.
Normenkette
AO §§ 71, 69, 162, 191 Abs. 3 S. 3
Streitjahr(e)
2016
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids.
Der Kläger (A) war seit Gründung der A-GmbH am
XX.XX.1988 ihr Geschäftsführer und Gesellschafter zu 50 %. Die anderen 50 % entfielen auf Herrn B. Das Amt des Geschäftsführers endete im Zusammenhang mit der Übertragung der Gesellschaftsanteile an der A-GmbH auf Herrn B, der anschließend Geschäftsführer wurde, am XX.XX.2007, was am XX.XX.2007 im Handelsregister eingetragen wurde.
Unternehmensgegenstand der A-GmbH war der Betrieb eines italienischen Restaurants in C-Stadt.
Die Steuererklärung für die A-GmbH betreffend Körperschaftsteuer 2004 gab der Kläger am 24. Oktober 2005 ab. Die antragsgemäße Veranlagung erfolgte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung am 14. September 2006. Danach belief sich der Gesamtbetrag der Einkünfte auf – XXX €. Die Körperschaftsteuer wurde auf 0 € festgesetzt.
Unter dem Datum des 01. November 2005 mit Erweiterung vom 27. November 2006 wurde eine Betriebsprüfung angeordnet (Bl. 250 Fall-Heft Bd. III). Sie betraf die Jahre 2000 bis 2004. Die Betriebsprüfung gelangte in ihrem Bericht vom 18. Juni 2007 zu der Feststellung, dass die Kassenführung – insbesondere wegen fehlender Tagesendsummenbons – nicht ordnungsgemäß, die Buchführung zu verwerfen und eine Nachkalkulation durchzuführen sei, weil Tageseinnahmen „schwarz” aus der Kasse entnommen und das Geld privat verwendet worden sein müsse. Die Mehrerlösschätzung der Betriebsprüfung belief sich für 2004 auf XXX €, wobei der Wareneinsatz dieses Jahres XXX € betrug und darauf ein Rohgewinnaufschlagsatz von 387 % angewendet wurde, was zu einer Erhöhung des erklärten Erlöses von XXX € auf den kalkulierten Erlös von XXX € führte. Ähnliche Mehrerlösschätzungen nahm die Betriebsprüfung für die Jahre 2000 bis 2003 vor, für die die A-GmbH ebenfalls weitgehend Verluste bei ähnlichem Wareneinsatz erklärt hatte. Diese Mehrerlöse wurden von der Betriebsprüfung als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Bericht der Betriebsprüfung vom 18. Juni 2007 Bezug genommen (Bl. 250ff. Fall-Heft Bd. III).
Der Innendienst folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und änderte den Körperschaftsteuerbescheid 2004 mit Bescheid vom 16. Juli 2007 (Bl. 101 Körperschaftsteuerakte). Darin wurde der Gesamtbetrag der Einkünfte mit XXX € beziffert und die Körperschaftsteuer auf XXX € festgesetzt. Insoweit wird im Bescheid von einem Steuerbilanzverlust von XXX € und einer verdeckten Gewinnausschüttung i.H.v. XXX € ausgegangen. Der Solidaritätszuschlag wurde dementsprechend auf XXX € festgesetzt. Gegen den Änderungsbescheid legte die A-GmbH Einspruch ein. Im Rahmen eines AdV-Beschlusses des Hessischen Finanzgerichts vom 25. April 2008 wurden die den Hinzuschätzungen zugrundegelegten Mehreinnahmen um 10 % gekürzt (Bl. 72 Fall-Heft Bd. III). Danach ging das Gericht für das Jahr 2004 von einem Mehrerlös von XXX € (statt XXX €) aus. In der Folge unternahm das für die Vollstreckung zuständige Finanzamt Maßnahmen zur Ermittlung der Liquidität der A-GmbH und erließ Pfändungs- und Einziehungsverfügungen (vgl. dazu Bl. 17 Haftung Bd. II). Der Vollziehungsbeamte erstellte ein Fruchtlosprotokoll (Bl. 22 Haftung Bd. I). Der Bericht des Liquidationsprüfers konnte keine nennenswerte Liquidität feststellen und empfahl, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen (Bl. 100 Fall-Heft Bd. III). Durch Beschluss des Amtsgerichts C-Stadt wurde über das Vermögen der A-GmbH das Insolvenzverfahren am XX.XX.2010 eröffnet und am XX.XX.2011 nach der Schlussverteilung aufgehoben. An der Höhe der Steuerschulden änderte sich dadurch nichts (Bl. 79 Haftung Bd. I und Bl. 72 Haftung Bd. II). Am XX.XX.2012 wurde die A-GmbH wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht (Bl. 100f. Handakte A). Das gegen den Kläger geführte Steuerstrafverfahren wurde durch den Beschluss des Landgerichts C-Stadt vom 20. August 2014 nach Zahlung von XXX € gemäß § 153a Abs. 2 StP...