vorläufig nicht rechtskräftig

Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH [V R 11/23)]

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Anwendung des Reemtsma-Direktanspruchs bei fehlendem Leistungsaustausch und bei unzureichender Leistungsbeschreibung in der Rechnung über den (etwaigen) Leistungstausch

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Bei Insolvenz des Leistenden muss der Leistungsempfänger den geltend gemachten unionsrechtlichen Direktanspruch (sog. Reemtsma -Direktanspruch) im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 AO) und nicht im umsatzsteuerrechtlichen Festsetzungsverfahren verfolgen. Bei der insoweit geltend gemachten Ermessensreduktion auf Null ist für das Vorliegen des Reemtsma-Direktanspruch die Sach- und Rechtslage zum Schluss der mündlichen Verhandlung maßgeblich.
  2. Der Reemtsma-Direktanspruch setzt jedenfalls voraus, dass in Bezug auf den konkret zu beurteilenden Vorgang zum einen die Erbringung von Leistungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vereinbart worden war und der den Anspruch geltend machende Leistungsempfänger zum anderen über eine den jeweiligen Leistungsumsatz abbildende nach §§ 14, 14a UStG formal ordnungsgemäße Rechnung verfügt (Anschluss an die ständige BFH-Rechtsprechung). Der Reemtsma-Direktanspruch scheidet deshalb aus, wenn nach den Umständen des Einzelfalls keine (z. B. Werbe-) Leistung der insolventen Vertragspartei an den Steuerpflichtigen, sondern eine Entgeltminderung für eine Leistung des Steuerpflichtigen vorlag oder wenn die Leistungsbeschreibung über die (etwaige) Leistung unzureichend ist.
  3. Voraussetzung für eine gegenläufige Werbeleistung des vom umsatzsteuerpflichtigen Lieferanten mit Waren belieferten Kunden ist, dass vom Kunden konkrete Werbemaßnahmen ergriffen werden, die im Sinne einer finalen Vorteilszuwendung bewusst auch dem Lieferanten zu Gute kommen sollen, ein solches Vorgehen zwischen den Parteien im Rahmen eines klar bestimmbaren Rechtsverhältnisses ausdrücklich vereinbart worden ist und die konkret zu erbringenden Werbeleistungen oder sonstigen Verrichtungen gemäß den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen vom Lieferanten in bestimmter Höhe gesondert zu vergüten sind.
  4. Der Vorsteuerabzug ist nicht auf Grund Vertrauens in die tatsächlich nicht gegebenen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG möglich.
 

Normenkette

UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 5 Var. 2

 

Streitjahr(e)

2016

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Anlass von Werbe- und Verkaufsförderungszuschüssen bei Gelegenheit der Lieferung von Handelswaren sowie um die ersatzweise Erstattung der an einen Vertragspartner wegen fehlender Leistungsvereinbarung und Leistungserbringung zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer durch die Finanzverwaltung nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung in Sachen Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH. Die Klägerin ist eine …. eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung ….

Im Streitjahr 2006 war die Klägerin zu 100% des Stammkapitals an der … A GmbH (ab 2004 firmierend unter B GmbH, im Folgenden: ,B-GmbH') beteiligt, deren Unternehmensgegenstand der Vertrieb und der Handel mit (seit 2004 ferner auch die Herstellung von) diätischen Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und ähnlichen Produkten und Arzneimitteln war. Im Streitjahr beschäftigte sich die B-GmbH – als Rechtsnachfolgerin der bis 2004 im Handelsregister eingetragenen B GmbH & Co. KG – insbesondere mit der Herstellung und dem Verkauf von Säuglings- und Kleinkindernahrung und ähnlichen Produkten unter der Markenbezeichnung „B”. Zwischen der Klägerin und der B-GmbH bestand ein im Handelsregister eingetragener Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Dieser blieb auch nach Abspaltung von Vermögensgegenständen der B-GmbH auf andere Rechtsträger … und nach Verlegung des Sitzes der B-GmbH nach … bestehen. Durch den Abspaltungsvorgang des Jahres … war der operative Teil des Verkaufsgeschäfts der B-GmbH auf die neu gegründete … eingetragene BB GmbH (im Folgenden: ,BB-GmbH') übergegangen, welche im Jahre … auf die Klägerin verschmolzen wurde. Bei der B-GmbH selbst war im Jahre … nur noch eine Produktionsstätte verblieben. Zwischen den Beteiligten ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unstreitig, dass die Klägerin im Streitjahr selbst als Unternehmerin i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG anzusehen und die B-GmbH i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als Organgesellschaft in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert war.

Im streitigen Zeitraum belieferte die B-GmbH das Einzelhandelsunternehmen C mit Säuglings- und Kleinkindernahrung der Marke „B” sowohl in trinkfertiger Form (sog. Liquids) als auch in Pulverform. Die Produkte wurden in den von C bundesweit und in weiteren EU-Staaten betriebenen Drogeriemärkten an Endverbraucher verkauft und entsprechend beworben. Ihre Lieferungen stellte die B-GmbH der Firma C zuzüglich Umsatzsteuer zum ermäßigten Steuersatz von 7% in Rechnung. Grundlage der Vertragsbeziehung zwischen der B-GmbH und C war eine sog. „Jahreskonditionsvereinb...

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