Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsentgelt. Zusätzliches Urlaubsgeld. Insolvenz. Masseverbindlichkeiten
Leitsatz (redaktionell)
Tarifliches Urlaubsentgelt und zusätzliches Urlaubsgeld sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
Normenkette
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Gießen (Urteil vom 28.01.2003; Aktenzeichen 5 Ca 566/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 28.01.2003 (Az.: 5 Ca 566/02) wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist seit 01. September 1972 bei der Gemeinschuldnerin als Sachbearbeiter im Kundendienst mit einem monatlichen Bruttogehalt von ca. EUR 3.300,00 beschäftigt. Ober das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde am 01.05.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter eingesetzt.
Mit Schreiben vom 02.05.2002 stellte der Beklagte den Kläger mit sofortiger Wirkung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Anrechnung des Resturlaubs von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 06.05.2002 an das Amtsgericht Gießen zeigte der Beklagte die drohende Massenunzulänglichkeit gem. § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO an. Unter dem 29.05.2002 kündigte der Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhälthis zum 31. August 2002.
Mit seiner Klage hat der Kläger Zahlung des Urlaubsentgelts für 21 Tage und zusätzliches Urlaubsgeld verlangt.
Er hat die Auffassung vertreten, mit Schreiben des Beklagten vom 02.05.2002 habe dieser den gesamten Resturlaub des Klägers von 29 Tagen gewährt und damit eine Masseforderung im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, die auch im Falle der Masseunzulänglichkeit sofort zu befriedigen sei. Durch die Urlaubsgewährung ab dem 02.05.2002 habe er insgesamt 21 Urlaubstage erhalten, woraus sich eine Urlaubsvergütung inklusive zusätzlichem Urlaubsgeld in Höhe von EUR 4.914,75 ergebe. Für Juni 2002 beziffere sich der Betrag der Urlaubsvergütung und des Urlaubsgeldes auf EUR 1.814,67. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, wenn die Freistellung mit Urlaubsgewährung lediglich Masseansprüche in Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO begründen würden, sei er insoweit benachteiligt, als das Arbeitsamt kein zusätzliches Urlaubsgeld zahle.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger EUR 6.729,42 brutto abzüglich EUR 1.899,24 netto (Arbeitslosengeld) nebst Verzinsung In Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 11. September 2002 zu zahlen,
hilfsweise,
festzustellen, dass mit der Freistellung vom 02.05.2002 der dem Kläger zustehende Urlaubsanspruch von 20 Tagen nicht abgegolten ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, Lohn- und Gehaltsansprüche der Arbeitnehmer, die der Insolvenzverwalter freigestellt habe, seien nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nachrangig als Altmasseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu erfüllen. Da er durch die Freistellung die Arbeitsleistung des Klägers nicht mehr in Anspruch genommen habe, könne im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch keine neue Massenverbindlichkeit begründet werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
Gegen das ihm am 10.03.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.04.2003 Berufung eingelegt und nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 10.06.2003 die Berufung mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz begründet.
Der Kläger vertieft sein Vorbringen erster Instanz und macht geltend, wenn ein Arbeitgeber eine unwiderruflich gewährte Freistellung von der Arbeitsleistung mit der Anrechnung von Erholungsurlaub verbinde, bedeute dies, dass der Urlaub gewährt worden sei. Von einer wirksamen Erledigung der Urlaubsansprüche könne aber nur dann ausgegangen werden, wenn mit der Freistellung unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen auch die Verbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO verbunden sei, d.h. die sich hieraus ergebende Urlaubsvergütung zu zahlen sei.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 28.01.2003 den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger EUR 6.729,42 brutto abzüglich EUR 1899,24 netto (Arbeitslosengeld) nebst Verzinsung in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2002 zu zahlen;
hilfsweise,
festzustellen, dass mit der Freistellung vom 02.05.2002 der dem Kläger zustehende Urlaubsanspruch von 20 Tagen für das Jahr 2002 nicht abgegolten ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts in rechtlicher und tatsächlichem Hinsicht.
Zur Ergänzung des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf die von den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die nach dem Wert des Streitgegenstandes statthafte Berufung des Klägers ist zulässig Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet wor...