OFD Koblenz, Verfügung v. 20.5.1999, S 3400 A - St 44 1

Es ist gefragt worden, ob Hinterziehungszinsen im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens festgesetzt werden dürfen, obwohl das zugrundeliegende VStG nicht verfassungskonform ist.

Nach dem Urteil des FG Bremen vom 3.11.1998, 298215 K ist die Festsetzung von Hinterziehungszinsen aufgrund der Hinterziehung von Vermögensteuer rechtmäßig. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt.

Die Entscheidung des Gerichts wird von folgenden Gründen getragen:

Nach § 235 Abs. 1 Satz 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Hinterziehungszinsen sind festzusetzen, wenn objektiv und subjektiv die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung des § 370 AO vorliegen. Hinterziehungszinsen dürfen nur bei einer vollendeten Steuerhinterziehung festgesetzt werden. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe hindern die Entstehung des Zinsanspruchs ( BFH-Urteil vom 27.8.1991, VIII R 84/89, BStBl 1992 II S. 9).

Wenn die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung nach § 370 AO gegeben sind, sind Hinterziehungszinsen nach § 235 AO festzusetzen. Eine strafrechtliche Verurteilung oder die Möglichkeit einer Strafverfolgung sind für die Erfüllung des Tatbestandes des § 235 AO nicht erforderlich. Bei der Erhebung der Hinterziehungszinsen handelt es sich nämlich nicht um eine Strafmaßnahme. Die Vorschrift des § 235 AO bezweckt vielmehr, beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteile abzuschöpfen (so der BFH in ständiger Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 27.8.1991, VIIIR 84/89, a.a.O. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Der Festsetzung der Hinterziehungszinsen für Vermögensteuern steht nicht entgegen, daß das BVerfG in seinem Beschluß vom 22.6.1995, 2 BvL 37/91 (BVerfGE 92 S. 121, BStBl 1995 II S. 655) entschieden hat, daß das VStG mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, da § 10 Nr. 1 VStG zumindestens seit dem Veranlagungszeitraum 1983 gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz desArt. 3 Abs. 1 GG verstößt. Zwar führt die Unvereinbarkeit einer Norm mit der Verfassung nach § 31 Abs. 2 BVerfGG grundsätzlich zu einer Anwendungssperre für Behörden und Gerichte, doch hat das BVerfG in der genannten Entscheidung ausgeführt, daß um einer stetigen Veranlagung der Vermögensteuer willen das bisher geltende Recht noch bis zum 31.12.1996 weiterhin angewandt werden durfte. Im Beschluß vom 30.3.1998, 1 BvR 1831/97 (BStBl 1998 II S. 422) hat das BVerfG ergänzend entschieden, daß die Vermögensbesteuerung für Stichtage vor dem 1.1.1997 verfassungsrechtlich auch nach diesem Stichtag zulässig ist. Der Gleichheitssatz verpflichte den Gesetzgeber, die Vermögensteuerpflichtigen im jeweiligen Veranlagungsjahr gleichmäßig zu belasten. Die Gleichheit in der Zeit werde durch eine Besteuerung aller Vermögensteuerpflichtigen zu den gleichen vermögensteuerrechtlichen Stichtagen gewährleistet. War somit die Vermögensbesteuerung für Stichtage vor dem 1.1.1997 auch nach diesem Zeitpunkt noch verfassungsrechtlich zulässig, gilt für diese Stichtage auch der Grundgedanke des § 235 Abs. 1 AO unverändert fort, beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteil abzuschöpfen.

Unter diesen Umständen kommt es auf die Frage, ob Verkürzungen von Vermögensteuer für Stichtage vor dem 1.1.1997 nach diesem Datum noch strafrechtlich verfolgt werden können (dazu Tipke, GmbHR 1996 S. 8, 15 ff.; Ulsamer/Müller, wistra 1998 S. 1; Kohlmann/Hilgers-Klautzsch, wistra 1998 S. 161; Urban, DStR 1998 S. 1995) nicht an, denn bei der Erhebung von Hinterziehungszinsen handelt es sich – wie schon vorstehend ausgeführt – nicht um eine Strafmaßnahme. Das StGB trifft Regelungen über strafbare Handlungen. Außerstrafrechtliche Rechtsfolgen gehören nicht zum Regelungsbereich des § 1 StGB, Gribbohm in LK, § 1 StGB RdNr. 20, Stand 5/92.

Werden in gleichgelagerten Vermögensteuerfällen Rechtsbehelfe gegen Bescheide über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen eingelegt, ruht das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO, bis über die eingelegte Revision entschieden wurde.

 

Normenkette

AO § 235

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