Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Die Höhe der Sachentnahmen und unentgeltlichen Wertabgaben im Zusammenhang mit sogenannten Non-Food-Artikeln ist für den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel grundsätzlich allein nach den Pauschbeträgen der jeweils einschlägigen amtlichen Richtsatzsammlungen zu bemessen. Eine darüber hinausgehende Hinzuschätzung ist dann unzulässig.
Sachverhalt
Streitig war, ob das Finanzamt zusätzlich zu den Pauschbeträgen, welche in den für die Streitjahre 2015-2017 jeweils gültigen amtlichen Richtsatzsammlungen für Sachentnahmen bzw. unentgeltliche Wertabgaben betreffend den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel (Einzelhandel) vorgesehen sind, weitere Hinzuschätzungen für Nicht-Lebensmittel, sogenannte "Non-Food-Artikel", vornehmen durfte. Der Steuerpflichtige tätigte in den Streitjahren – mit Ausnahme von Tabakwaren – Entnahmen aus dem gesamten Warensortiment. Gesonderte Aufzeichnungen über seine Warenentnahmen führte er nicht, sondern berücksichtigte im Rahmen seiner Gewinnermittlungen unter Anwendung des jeweils gültigen BMF-Schreibens betreffend die Pauschbeträge für Sachentnahmen bzw. unentgeltliche Wertabgaben Gewinnerhöhungen im Umfang der dort genannten Pauschbeträge für den Gewerbezweig "Nahrungs- und Genussmittel (Eh.)". Das Finanzamt vertrat die Auffassung, die durch das BMF jährlich veröffentlichten Pauschbeträge für Sachentnahmen bzw. unentgeltliche Wertabgaben seien ausschließlich für die Sachentnahmen bzw. unentgeltlichen Wertabgaben von Nahrungsmitteln und Getränken anzuwenden, nicht jedoch für Non-Food-Artikel. Da der Steuerpflichtige hierüber keine Aufzeichnungen geführt hatte, nahm es über die Pauschbeträgen der Richtsatzsammlung hinausgehende Zuschläge vor.
Entscheidung
Im Klageverfahren gab das FG dem Steuerpflichtigen Recht und entschied, dass die Höhe der Sachentnahmen und unentgeltlichen Wertabgaben allein nach den Pauschbeträgen der jeweils einschlägigen amtlichen Richtsatzsammlungen für den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel (Eh.) zu bemessen ist. Hierauf hat der Steuerpflichtige aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung einen Rechtsanspruch. Eine Hinzuschätzung weiterer Beträge für die Entnahme sog. Non-Food-Artikel war im Streitfall unzulässig. Für das FG ist auch objektiv nicht zweifelhaft, dass für den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel (Eh.) auch die Entnahme sogenannter Non-Food-Artikel von den Pauschbeträgen für Sachentnahmen bzw. unentgeltliche Wertabgaben abgedeckt ist. Die Vorbemerkungen hierzu geben nach Auffassung des FG Aufschluss darüber, wie die Finanzverwaltung selbst die von ihr erlassene Anweisung verstanden hat bzw. verstanden wissen will. Das Schätzungsergebnis unter Zugrundelegung lediglich der amtlichen Pauschbeträge ohne weitere Hinzuschätzungen für die Entnahme von Non-Food-Artikeln führte nach Auffassung des FG im Streitfall auch nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen. Denn der Warenanteil der Non-Food-Artikel war mit jeweils lediglich knapp über 10 % bzw. 11 % des Gesamtwarensortiments äußerst gering, sodass eine Abgeltung sämtlicher Entnahmen durch die amtlichen Pauschbeträge im Hinblick auf die aufgrund unterschiedlicher Ess- und Trinkgewohnheiten ohnehin bestehenden Ungenauigkeiten im Einzelfall nicht weiter ins Gewicht fällt. Zudem umfasste das Warensortiment des Steuerpflichtigen keine ungewöhnlichen und besonders hochwertigen Artikel (etwa Elektroartikel), die eine gesonderte Hinzuschätzung erforderlich erscheinen lassen.
Hinweis
Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Denn die Frage, ob für die Entnahme sog. Non-Food-Artikel weitere über die Pauschbeträge nach den amtlichen Richtsatzsammlungen hinausgehende Hinzuschätzungen erforderlich und zulässig sind, ist – soweit ersichtlich – bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Die Klärung der Frage erscheint jedoch über den entschiedenen Streitfall hinaus für eine Vielzahl weiterer Verfahren von Bedeutung.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 29.04.2022, 10 K 1297/20 G,U,F