Die Neuausrichtung des Geschäftsmodells der krisenbetroffenen Unternehmen steht im Mittelpunkt der Phase 3 des Krisenkonzeptes. Typischerweise sollten die Geschäfte sich wieder halbwegs stabilisiert haben, sodass man wieder stärker mittelfristig planen und agieren kann. Ein Planungshorizont von maximal 3 Jahren wäre hier wohl angemessen, während gleichzeitig erste Forecasts und Prognose-Szenarien durchgeführt werden. Hier ist jedoch auch Vorsicht geboten: Modelle, die Zeitreihen, Ölpreise oder Arbeitslosenzahlen verwenden, müssen vermutlich neu aufgebaut werden; das bedeutet auch, dass die zugrundeliegenden Daten neu bewertet werden müssen. Wir empfehlen deshalb mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die bereits aktualisierte Methoden und Modelle entwickelt haben.

Abb. 7: Auswahl der strategischen Richtung auf der Grundlage sich verschiebender Disruptionen und Optionen[1]

Da zumindest nach der Phase der Stabilisierung die kurz- bis mittelfristige Zukunft des Unternehmens gesichert worden ist, gilt es nun, sich intensiv mit der zukünftigen Ausgestaltung des Geschäftsmodells und der Wertschöpfungsketten auseinanderzusetzen. Das bedeutet, dass es jetzt an der Zeit ist, sich mit den Kernbereichen des Unternehmens zu befassen. Lebensnotwendige Prozesse und Vorgänge müssen ihrer Effizienz nach priorisiert werden, sodass etwaige Lücken geschlossen werden können. Diese Bewertung sollte so schnell wie möglich durchgeführt werden. Das Framework in Abb. 7 soll hier eine erste Hilfestellung geben, an dem sich Unternehmen bzgl. ihrer etwaigen strategischen Neuausrichtung orientieren können. Die Grafik soll verdeutlichen, dass sich nicht jedes Unternehmen automatisch neu erfinden muss, nur weil es nun besonders stark von einer Krise betroffen ist. Die Rückkehr zum "Normalgeschäft" bzw. eine Art Restrukturierung wären ebenfalls denkbar. In den folgenden Ausführungen soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich "gutes Wirtschaften" nicht mehr einfach auf den Faktor Rentabilität reduzieren lässt. Gerade in der Krise beeinflussen auch weniger greifbare Aspekte wie Unsicherheit oder Nachfrageschwankungen durch ein sich veränderndes Kundenverhalten das Tagesgeschäft.

Hersteller, die ihre Produktionsanlagen umstellen müssen oder Einzelhändler, die aktuell ihre Kunden anders erreichen müssen, sind gute Beispiele dafür, dass Organisationen sich neu erfinden müssen. Deshalb bietet sich an dieser Stelle eine Überprüfung an, ob eine Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells zu einem mittel- und langfristigen Aufschwung führen kann. Selbstverständlich muss der strategische Fit dabei eingehalten werden, d. h., dass die Neuausrichtung zum jeweiligen Unternehmen passen muss. Weitere Anpassungsmöglichkeiten wären z. B. die Neuausrichtung von Kapazitäten. Ein Beispiel dafür wäre ein Dienstleister, der seine physischen Unternehmensbestandteile nach und nach auflösen könnte, während er sich im zweiten Schritt seine neu gefunden digitalen Lösungen und Netzwerke zunutze macht. Natürlich ist es denkbar, dass Unternehmen aktuell nur darauf warten, dass die Krise vorbei ist und so schnell wie möglich zu ihrer Ausgangssituation zurückkehren. Indes ist es unwahrscheinlich, dass diese Rückkehr ein leichter und gerader Pfad sein wird.

Weitere strategische Anpassungen sind in jedem Fall denkbar. Viele existierende Mehrjahresumsatzpläne und die bereits verabschiedeten Realisierungsstrategien sowie die geplanten Ressourcenaufstellungen müssen angesichts der neuen Realitäten reflektiert werden. Gerade wenn der Krisenverlauf von Prognosen abweicht und die Erholung mehr Zeit in Anspruch nimmt als anfangs angenommen, ist dies unabdingbar. An dieser Stelle müssen sich ebenfalls die Resilienz-Fähigkeit sowie die Agilität einer Organisation beweisen. Besonders wenn Geschäftsmodelle überarbeitet werden oder diese sogar eine gesamte strategische Neuausrichtung erfahren, sollten diese beiden Aspekte in die vorgelagerten Analysen und Überlegungen mit einfließen. Obwohl zukünftig flexible Strukturen für jede aufstrebende und etablierte Organisation selbstverständlich sein sollten, kann diese Veränderung gerade in Konzernen oder Unternehmen mit einem komplexen Organisationsaufbau viel Zeit in Anspruch nehmen. Hier gilt: je kleiner das Unternehmen, desto flexibler bzw. desto schneller kann Agilität herbeigeführt werden. Die Volatilität wird in vielen Branchen langfristig nicht abnehmen. Auf schnelle Zuwächse müssen Organisationen daher möglichst genauso schnell reagieren, wie drastische Rückgänge der Warennachfrage verkraftet werden müssen. Auch an dieser Anforderung werden übrigens klassische Optimierungsmodelle scheitern.

[1] In Anlehnung an McKinsey & Company, 2020c.

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