Leitsatz
Die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG ist nur dann zu gewähren, wenn eine gewisse Zeitnähe (6 Monate nicht zwingend, 10 Jahre aber zu spät) zwischen Erwerbszeitpunkt und Zeitpunkt der Nutzbarmachung zu Zwecken der Forschung oder Volksbildung besteht.
Sachverhalt
Am 31.12.2013 verstarb der Ehemann der Klägerin. Seine alleinige Erbin ist seine Tochter, die mit Vermächtnissen und Auflagen zugunsten der Klägerin belastet war. Die Klägerin und die Tochter schlossen am 12.11.2015 einen Erbvergleichsvertrag, wonach die Klägerin unter anderem das Eigentum an der streitbehafteten Immobilie erhalten hat. Diese Immobilie ist ein Grundstück, das mit einem Friesenhaus aus dem 17. Jahrhundert bebaut ist und unter Denkmalschutz steht. Seit Januar 2019 fanden Führungen durch das Objekt statt. Die Klägerin beantragte die Erbschaftsteuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG. Diese wurde vom Finanzamt verneint, weil das Objekt nicht "zeitnah" für Zwecke der Forschung und Volksbildung zur Verfügung gestellt worden sei.
Entscheidung
Die Klage ist begründet. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG bleibt Grundbesitz mit 85 % des Wertes steuerfrei, wenn dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, die jährlichen Kosten die erzielten Einnahmen übersteigen und er den Zwecken der Forschung oder der Volksbildung nutzbar gemacht ist oder wird. Das ist hier gegeben. Das Objekt ist durch die Öffnung für die Öffentlichkeit ab Dezember 2018 dem Zweck der Volksbildung nutzbar gemacht worden. Das Merkmal einer gewissen Zeitnähe kann nicht anhand einer festen Monats- oder Jahreszahl pauschal festgelegt werden, sondern ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls zu konkretisieren. Die Nutzbarmachung des Objekts muss nicht bereits innerhalb eines Zeitraums von bis zu 6 Monaten ab Kenntnis des Erwerbs durch den Erwerber erfolgt bzw. zumindest eingeleitet sein; spätestens aber nach 10 Jahren. Zeitlicher Ausgangspunkt ist im Streitfall der 12.11.2015, d. h. das Datum des Erbvergleichs, und nicht der 31.12.2013, d. h. der Todestag des Erblassers, denn erst nach Erbvergleich kann von dem Erwerber eine Entscheidung über die Nutzung erwartet werden. Die Entscheidung wurde bereits im Jahr 2016 zugunsten der geförderten Nutzung getroffen, indem Kontakt mit dem städtischen Tourismusbüro aufgenommen wurde.
Hinweis
Das für die Steuerpflichtigen positive Urteil ist zu begrüßen, da es für die "Zeitnähe" nicht auf pauschale Grenzen, sondern auf den konkreten Einzelfall abstellt und dabei auch subjektive Kriterien, die ggf. zu einer Verlängerung der Überlegungsphase führen, miteinfließen lässt. Das Urteil verdeutlicht zudem einmal mehr die Bedeutung einer genauen Dokumentation der Tätigkeiten des Steuerberaters, wodurch die Kontaktaufnahme zum Tourismusbüro nachgewiesen werden konnte.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 19.08.2022, 3 K 2935/20 Erb