Entscheidungsstichwort (Thema)
Inanspruchnahme der Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG und Zeitraum, in dem ein Grundstück für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht wird
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundbesitz wird in einem den Verhältnissen entsprechenden Umfang dem Zweck der Volksbildung nutzbar gemacht im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG, wenn er zumindest zeitweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, indem zumindest zeitweise der Zugang zu privaten Räumen einer interessierten Öffentlichkeit ermöglicht wird (hier: allgemein erkennbar aufgestelltes Schild und Homepageeintragungen mit Hinweisen auf Führungen von Gruppen bzw. Einzelpersonen). Eine ständige Zurverfügungstellung der Immobilie für die Öffentlichkeit ist generell nicht erforderlich.
2. Die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG ist nur dann zu gewähren, wenn eine gewisse Zeitnähe zwischen dem Erwerbszeitpunkt – in der Regel dem Besteuerungsstichtag – und dem Zeitpunkt der Nutzbarmachung zu Zwecken der Forschung oder der Volksbildung besteht. Hierbei ist einerseits eine Nutzbarmachung des Objekts nicht bereits innerhalb von 6 Monaten ab Kenntnis des Erwerbs erforderlich, andererseits reicht eine Nutzbarmachung erst nach 10 Jahren nicht aus. Der Maßstab für eine solche Zeitnähe ist abhängig von den Umständen des Einzelfalles (hier: Zurverfügungstellung des Grundbesitzes für die Öffentlichkeit innerhalb von rund 3 Jahren nach Erbvergleich noch ausreichend angesichts detaillierter Einzelregelungen in einem komplexen Erbfall, zunächst gescheiterter Verhandlungen bzgl. der Nutzbarmachung und erforderlicher Instandsetzungsarbeiten).
3. Bei einem Erbvergleich kann nicht auf den Besteuerungsstichtag als Erwerbszeitpunkt abgestellt werden. Vielmehr kann erst ab dem Zeitpunkt des Vergleichsschlusses von dem Erwerber die Entscheidung erwartet werden, ob er den Gegenstand zu den in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG genannten Zwecken für die Öffentlichkeit nutzbar machen möchte.
Normenkette
ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2, 1 Buchst. a
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung nach ihrem Ehemann dahingehend, dass historischer Grundbesitz in L-Stadt nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) im Umfang von 85 v. H. des Wertes als steuerfrei berücksichtigt wird.
Am 31.12.2013 verstarb der Ehemann der Klägerin, Herr K. B.. Seine alleinige Erbin, seine Tochter Frau T. B., war nach seinen letztwilligen Verfügungen mit diversen Vermächtnissen und Auflagen zugunsten der Klägerin belastet. Nach dem Tod des Erblassers stritten die Klägerin und die Erbin über den Inhalt der umfangreichen Testamente des Erblassers. Sie schlossen am 12.11.2015 einen notariellen Erbvergleichsvertrag (UR xxx des Notars I. T. in Hannover). Demnach sollte die Klägerin u.a. das Eigentum am streitgegenständlichen Objekt, der Immobilie G1 in […] L-Stadt, erhalten. Die „Übergabe des Immobilieneigentums” sollte mit dem Tag des Vertragsschlusses erfolgen; die Schlüssel sollten am 30.11.2015 übergeben werden (1. Teil, A., II. des Erbvergleichsvertrags). Die Klägerin und die Erbin erklärten, sie seien sich einig, dass der wirtschaftliche Wert der Regelungen des Erbvergleichs dem wirtschaftlichen Wert der testamentarischen Erblasseranordnungen entspreche (Nr. 6 der Präambel des Erbvergleichsvertrags) und verzichteten auf ihr Anfechtungsrecht hinsichtlich des Vertrages (3. Teil, Nr. 3 des Erbvergleichsvertrags). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertragstext Bezug genommen. Die Eigentumsumschreibung von der zunächst als Eigentümerin des Grundstücks eingetragenen Erbin auf die Klägerin erfolgte am 11.01.2016.
Das streitgegenständliche Objekt ist ein Grundstück, das mit einem sog. Uthländischen Haus, einem reetgedeckten authentischen Friesenhaus aus dem 17. Jahrhundert, bebaut ist. Es steht […] seit seiner Eintragung in das Denkmalbuch des Bundeslandes A am 00.00.1987 unter Denkmalschutz und ist in die Denkmalliste eingetragen. Das Landesamt für Denkmalpflege Bundesland A klassifiziert es als geschütztes Kulturdenkmal im Sinne des Denkmalschutzgesetzes des Landes; der Schutzumfang erstreckt sich auf das gesamte Gebäude mit Gartengrundstück und Steinwällen (Schreiben des Landesamtes für Denkmalpflege Bundesland A vom 13.12.2019). Seit Januar 2019 finden für die interessierte Öffentlichkeit Führungen durch das Objekt statt, die u.a. über die Internetpräsenz des Tourismus-Service L-Stadt für 10 EUR pro Person gebucht werden können.
Nachdem die Gemeinde die Grundsteuer für die Jahre 2019 und 2020 jeweils nach § 32 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes erlassen hatte, ist sie mittlerweile dauerhaft erlassen worden.
Bereits in einem früheren Klageverfahren wegen Erbschaftsteuer nach ihrem verstorbenen Ehemann (FG Münster, Az. 3 K 997/17 Erb) hatte die Klägerin die partielle Steuerfreiheit des streitgegenständlichen Objekts begehrt und dargetan, es solle der Volksbi...