Leitsatz
1. Eine Förderung von Verbraucherberatung und Verbraucherschutz (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 16 AO) liegt auch bei einer auf die individuelle Situation des Verbrauchers ausgerichteten Aufklärung und Information über Versicherungen vor.
2. Individuelle Verbraucherberatung gegen Entgelt kann im Rahmen eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs nach § 65 AO erfolgen.
3. Der ermäßigte Umsatzsteuersatz ist – entgegen der Verwaltungsauffassung in Abschn. 12.9 Abs. 9 UStAE – bei allgemeinen Zweckbetrieben (§ 65 AO) nur unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Alternative 1 UStG anwendbar (Bestätigung der BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, Art. 98 Abs. 2, Anh. III Nr. 15, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 14, § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 16, § 65 AO, § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine gemeinnützige Körperschaft, deren Zweck in der Förderung des Verbraucherschutzes besteht. Diesen Zweck verwirklicht sie insbesondere durch vergleichende Untersuchungen an Waren und Leistungen sowie durch die Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse. Im Streitjahr 2014 führte die Klägerin vergleichende Untersuchungen über Angebote von Versicherungen durch und veröffentlichte die Ergebnisse in ihrer Zeitschrift "B..." sowie auf ihrem Internetportal. Zur Durchführung dieser Tests erhob sie Daten am Markt und erfasste, erweiterte und pflegte diese in Datenbanken oder Tabellenkalkulationsprogrammen. Für die veröffentlichten Testberichte definierte sie "Musterfälle", für welche die jeweiligen Versicherungen ausgewertet und verglichen wurden.
Da im Hinblick auf die Vielzahl der Tarife ein für den Verbraucher verwertbarer Versicherungsvergleich nur anhand von individuellen Faktoren erstellt werden konnte, bot die Klägerin zu Preisen zwischen 10 EUR und 29 EUR die Möglichkeit einer Versicherungsvergleichsanalyse ("Finanzanalyse") mit individuellen Daten an. Von 11.249 individuellen Finanzanalysen entfiel der weitaus größte Teil auf Kfz-Versicherungen (9.412 von 11.249 Analysen), die übrigen Finanzanalysen betrafen private Kranken-, Pflegegeld-, Risikolebens-, Hausrat-, private Haftpflichtversicherungen sowie Motorradversicherungen. Als Ergebnis dieser Finanzanalysen erhielt der Verbraucher eine Computerauswertung seiner Daten, ohne dass jedoch eine persönliche Beratung stattfand. Mit der Durchführung dieser Finanzanalysen erwirtschaftete die Klägerin bei Umsätzen von ca. 100.000 EUR einen Verlust i.H.v. ca. 70.000 EUR.
Das FA ordnete die Einnahmen aus den Finanzanalysen im Streitjahr dem steuerpflichtigen Geschäftsbetrieb der Klägerin zu und erließ am 19.9.2016 entsprechende Bescheide zur KSt, USt und zum GewSt-Messbetrag. Die dagegen eingelegten Einsprüche wies das FA mit den Einspruchsentscheidungen vom 2.10.2017 als unbegründet zurück. Die Klage vor dem FG hatte dagegen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.1.2019, 8 K 8286/17, Haufe-Index 14207662, EFG 2019, 1049).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil des FG in Bezug auf die Zweckbetriebseigenschaft nach § 65 AO. In Bezug auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes hob der BFH demgegenüber das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Der BFH hat keine Bedenken, individuelle Verbraucherberatung, die eine gemeinnützige Körperschaft gegen Entgelt erbringt, als im Rahmen eines steuerbegünstigten Zweckbetriebs nach § 65 AO ausgeführt zu betrachten. Einen Verstoß gegen das dabei nach § 65 Nr. 3 AO einzuhaltende Wettbewerbsverbot verneint der BFH mit der Begründung, dass sich die Körperschaft auf die Verschaffung neutraler Informationen ohne provisionsmotivierte Abschlusstätigkeit beschränkte, wobei zudem eine persönliche Beratung nicht im Vordergrund stand.
2. Anders sieht es bei der Frage aus, ob die dabei ausgeübte Umsatztätigkeit dem ermäßigten USt-Satz unterliegt. Dies verneint der BFH aufgrund von § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 Fall 1 UStG.
a) Nach dieser Vorschrift gilt die Steuersatzermäßigung für Leistungen, die im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt werden, nur dann, wenn der Zweckbetrieb nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen durch die Ausführung von Umsätzen dient, die in unmittelbarem Wettbewerb mit dem allgemeinen Steuersatz unterliegenden Leistungen anderer Unternehmer ausgeführt werden.
b) Bei Anwendung dieser Vorschrift legt der BFH einen strengen Maßstab an.
aa) Der BFH bejaht das Vorliegen zusätzlicher Einnahmen bereits dann, wenn Einnahmen im Zusammenhang mit Leistungen erzielt werden, die für die Verwirklichung des steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks (vorliegend die Förderung von Verbraucherschutz nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 16 AO) nicht unerlässlich sind. Bei einem auf "Finanzanalysen" beschränkten Zweckbetrieb verneint der BFH diese Unerlässlichkeit. Ob im Übrigen ein Gewinn erzielt wird, sieht der BFH als unerheblich an.
bb) Besonders strenge Anforderungen bestehen in Bezug auf das Wettbewerbskriterium. Anders als bei § 65 Nr. 3 A...