OFD Hannover, Verfügung v. 23.12.2008, S 0127 - 36 - StO 142
1. Insolvenz und Liquidation
Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder den Beginn einer Liquidation ergeben sich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich keine Besonderheiten. Ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit kann jedoch dann eintreten, wenn der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Geschäftsführung im Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamtes ausübt.
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie durch die Bestellung eines vorläufigen „starken” Verwalters gem. § 22 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den vom zuständigen Insolvenzgericht bestellten Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).
Bei einer (vorläufigen) Liquidation obliegt es den mit der Abwicklung betrauten Liquidatoren, die laufenden Geschäfte zu beenden, die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld umzusetzen; sie haben die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 70 Satz 1 GmbHG, §§ 268, 269 AktG, §§ 149, 161 Abs. 2 HGB).
In beiden Fällen werden die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die die gewöhnliche Tagespolitik einer Gesellschaft mit sich bringen, dauernd durch den Insolvenzverwalter bzw. Liquidator ausgeübt, so dass diese die Geschäftsleitung i.S. des § 10 AO innehaben. Führt der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Tagesgeschäfte der Gesellschaft an einem Ort – z.B. seinem eigenen Büro –, der nicht im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes liegt, welches bisher für die Besteuerung der Gesellschaft zuständig war, tritt grundsätzlich ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit nach § 26 Satz 1 AO ein.
Es ist bei der Insolvenz oder Liquidation von Gesellschaften jedoch nicht zweckmäßig, kurz vor dem Erlöschen der Steuerpflicht noch ein anderes FA mit der Bearbeitung eines ggf. komplizierten Steuerfalles zu befassen. Zudem kann die Aktenüberweisung, deren Abwicklung sich nach der allgemeinen Erfahrung häufig über einen längeren Zeitraum hinzieht, zum Versäumen wichtiger Fristen und Termine (z.B. § 28 Abs. 1,§ 194 Abs. 1 InsO) und damit zu Steuerfällen führen.
In diesen Fällen hatte in der Vergangenheit regelmäßig das bisher für die Besteuerung zuständige FA das Verwaltungsverfahren fortzuführen und zu beenden. Die Zuständigkeit war in derartigen Fällen auf § 26 Satz 2 AO zu stützen.
Durch das Jahressteuergesetz 2008 wurde § 26 AO durch einen dritten Satz ergänzt. Nach der neu angefügten Bestimmung tritt ein Zuständigkeitswechsel solange nicht ein, wie
- über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde,
- ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde oder
- sich eine Personengesellschaft oder eine juristische Person in Liquidation befindet.
Damit ist gesetzlich geregelt, dass die Zuständigkeit in Insolvenz- bzw. Liquidationsfällen bei der bisher zuständigen Finanzbehörde verbleibt. Hierdurch wurde auch eine Forderung des Bundesrechnungshofs umgesetzt.
§ 26 Satz 3 AO gilt sowohl für das Regelinsolvenzverfahren (§§ 1 ff. InsO), als auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 304 ff. InsO).
Die Besteuerung des Insolvenzschuldners während einer etwaigen Wohlverhaltensphase (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO) nach einem Wechsel des Wohnsitzes in einen anderen Finanzamtsbezirk ist demgegenüber von dem dann neu zuständig gewordenen FA durchzuführen, weil die Wohlverhaltensphase erst an das bereits eingestellte oder aufgehobene Insolvenzverfahren anschließt.
In den Fällen, in denen eine natürliche Person nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen Finanzamtsbezirk eine (neue) gewerbliche oder selbstständige (unternehmerische) Tätigkeit i.S. des § 35 Abs. 2 InsO aufnimmt (ggf. verbunden mit einer Wohnsitzverlegung), gilt Folgendes:
- Ist der Steuerpflichtige bereits bisher ertrag- und betriebssteuerlich geführt worden, verbleibt es für diese Steuerarten gem. § 26 Abs. 3 AO bei der bisherigen Zuständigkeit.
- Handelt es sich hingegen um die erstmalige Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit, wird hinsichtlich der Betriebssteuern erstmals eine Zuständigkeit begründet und mithin mangels eines Zuständigkeitswechsels nicht von § 26 Satz 3 AO erfasst. Die örtliche Zuständigkeit für die Betriebssteuern liegt damit bei dem FA, von dessen Bezirk der Unternehmer das Unternehmen ganz oder vorwiegend betreibt. Unabhängig davon bleibt die Möglichkeit, mit Zustimmung des Betroffenen eine Zuständigkeitsvereinbarung (§ 27 AO) zu treffen, um den gesamten Steuerfall bei einem FA zu konzentrieren.
Dabei ist unerheblich, ob die neue Tätigkeit insolvenzfrei ist oder nicht.
In den Fällen der vom Insolvenzgericht angeordneten Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die Tätigkeit des Sachwalters beschränkt sich in di...