LfSt Bayern v. 21.12.2005, S 0127 - 2 St 41 N

 

1. Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die örtliche Zuständigkeit bei Personengesellschaften und juristischen Personen

Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder den Beginn einer Liquidation ergeben sich grundsätzlich im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit keine Besonderheiten. Ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit kann jedoch dann eintreten, wenn der Insolvenzverwalter oder Liquidator die Geschäftsführung im Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts ausübt.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und durch die Bestellung eines vorläufigen „starken” Verwalters gem. § 22 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den vom zuständigen Insolvenzgericht bestellten Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).

Bei einer (vorläufigen) Liquidation obliegt es den mit der Abwicklung betrauten Liquidatoren, die laufenden Geschäfte zu beenden, die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geld umzusetzen; sie haben die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 70 Satz 1 GmbHG, §§ 268, 269 AktG).

In beiden Fällen werden die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die die gewöhnlichen Tagesgeschäfte einer Gesellschaft mit sich bringen, dauernd durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bzw. Liquidator ausgeübt, so dass diese die Geschäftsleitung i.S.d. § 10 AO innehaben. Führt der (vorläufige) Insolvenzverwalter oder Liquidator die Tagesgeschäfte der Gesellschaft an einem Ort – z.B. seinem eigenen Büro –, der nicht im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes liegt, welches bisher für die Besteuerung der Gesellschaft zuständig war, tritt ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit nach § 26 Satz 1 AO ein. Es ist in solchen Fällen jedoch nicht zweckmäßig, kurz vor dem Erlöschen der Steuerpflicht noch ein anderes FA mit der Bearbeitung eines ggf. komplizierten Steuerfalles zu befassen. Zudem kann die Aktenüberweisung, deren Abwicklung sich nach der allgemeinen Erfahrung häufig über einen längeren Zeitraum hinzieht, zum Versäumen wichtiger Fristen oder Termine (z.B. § 28 Abs. 1, § 194 Abs. 1 InsO) und damit zu Steuerausfällen führen.

In diesen Fällen hat daher regelmäßig das bisher für die Besteuerung zuständige FA das Verwaltungsverfahren fortzuführen und zu beenden. Die Zuständigkeit ist in derartigen Fällen auf § 26 Satz 2 AO zu stützen. In Fällen der Sanierung in sonstiger Weise (§ 156 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder mittels Insolvenzplan (§§ 217 InsO ff.), die mit einem Zuständigkeitswechsel einhergehen, sollte allerdings geprüft werden, ob die Anwendung des § 26 Satz 2 AO und damit der Verbleib beim bisherigen FA tatsächlich zweckmäßig und vereinfachend im Sinne der Vorschrift ist.

In den Fällen der vom Insolvenzgericht angeordneten Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) ist der Schuldner berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die Tätigkeit des Sachwalters beschränkt sich in diesen Fällen grundsätzlich auf eine Überwachung des Schuldners. Da in diesen Fällen der Schuldner die Tagesgeschäfte der Gesellschaft führt, ergeben sich hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit keine Besonderheiten.

 

2. Wohnsitzwechsel nach Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens

Erfährt das FA nach Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens, dass der Insolvenzschuldner seinen Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Finanzamts verlegt hat, tritt dadurch häufig für alle Veranlagungssteuern ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit ein. Es ist jedoch zweckmäßig, den gesamten Steuerfall bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens beim bisher zuständigen FA zu belassen (§ 26 Satz 2 AO). Dies gilt auch, wenn ein Einzelunternehmer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens seinen Wohnsitz in einen anderen Finanzamtsbezirk verlegt und dort eine neue gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit aufnimmt. Das Insolvenzverfahren wird beendet durch Aufhebung (§§ 200, 258 und 289 Abs. 2 InsO) oder durch Einstellung (§§ 207216 InsO); vgl. hierzu auch Vollstreckungskartei Bayern, Fach Insolvenz Karte 13. Die Besteuerung des Insolvenzschuldners während einer etwaigen Wohlverhaltensphase ist von dem nach dem Wechsel des Wohnsitz zuständig gewordenen FA durchzuführen.

Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bei Firmenaufkäufen wird auf Karte 9 zu § 26 AO hingewiesen.

Hinweis:

Die bisherige Karte 1 (Kontroll-Nr.: 21/2004) ist auszureihen.

 

Normenkette

AO 1977 § 26

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