Prof. em. Dr. Rudolf Federmann
Rz. 38
§ 240 Abs. 1 HGB regelt nicht, auf welche Art und Weise das Inventar zu erstellen ist. Eine zweckgerechte Vorgehensweise kann sich daher an den jeweiligen Gegebenheiten orientieren. Neben dem Regelfall einer körperlichen Bestandsaufnahme kommen auch Bestandsübernahmen aus vorhandenen Bestandsführungen (Sachkonten, Nebenbuchführungen) und die Übernahme aus Dokumentensammlungen ("Schubladeninventur") und IT-Rechenwerken (Buch-/Beleginventur) in Betracht.
4.1.1 Körperliche Bestandsaufnahme
Rz. 39
Die körperliche Bestandsaufnahme durch Sichten, Zählen, Messen, Wiegen und Schätzen der Mengenkomponenten der Inventurobjekte gilt als das Regelverfahren der Inventur. Sie lässt sich jedoch nur bei körperlichen Gegenständen (Sachen) durch unmittelbare Autopsie (in Augenscheinnahme) vornehmen. Bei konventionellem Vorgehen nehmen "Ansager" und "Schreiber" die ersichtlichen Gegenstände am Lagerort während einer Lagerruhe in sog. Inventur(aufnahme)listen auf. Erfasste Gegenstände werden gekennzeichnet, die Aufnahmeblätter datiert, durchnummeriert und von den aufnehmenden Personen abgezeichnet; u. U. stützen Fotografien die Nachweise. Moderne Vorgehensweisen bedienen sich dabei der Barcode-, QR-Scann- oder RIF-Technik.
Rz. 40
Typischerweise kommt die körperliche Bestandsaufnahme bei (materiellem) Vorratsvermögen und bei Kassenbeständen in Betracht, vor allem, wenn keine Bestandsbuchführung vorhanden ist. Ebenso beim beweglichen Sachanlagevermögen, wenn keine Anlagenkartei existiert. Außerdem ist sie bei permanenter Inventur und beim Festwertverfahren zum Nachweis der Bestandszuverlässigkeit vorgeschrieben. Weitere Einsatzbereiche sind wertvolle Gegenstände und Bestände, die nicht durch Erfahrungssätze zu berücksichtigenden unkontrollierten Abgängen unterliegen.
Rz. 41
Die körperliche Bestandsaufnahme hat eine hohe Zuverlässigkeit und ist, insbesondere mit modernen Aufnahmetechniken, wie z. B. digitalen Handgeräten, einfach zu handhaben. Sie ist aber meist kosten- und zeitaufwändig.
4.1.2 Buch- und Beleginventur
Rz. 42
Bei der "Buch- und Beleginventur" werden Mengen und Werte aus betrieblichen oder externen Aufzeichnungen erhoben, insbesondere weil eine körperliche Bestandsermittlung nicht möglich, z. B. für Forderungen und Finanzanlagen, Wertpapiere, immaterielle Vermögensgegenstände und Rechte sowie Schulden und Vertragsbeziehungen, oder nicht notwendig ist, z. B. bei beweglichem Anlagevermögen, das in einer Anlagenkartei erfasst ist. Grundvermögen wird z. B. durch externe Grundbuchauszüge nachgewiesen. Außerdem können Belege, Vertragsdokumente, Depot- und Kontenauszüge, externe Lagerbestätigungen, Saldenlisten und OP-Listen herangezogen werden (sog. "Schubladeninventur"). Entscheidend ist auch hier, dass auf den Inventurzeitpunkt fortgeschriebene Bestände ermittelt werden.
Rz. 43
Eine besondere Bedeutung haben dabei Anlagekarteien für bewegliche Sachanlagen. Wegen ihrer Bedeutung für Bestand und Abschreibungen müssen sie mindestens folgende Angaben enthalten:
- genaue Bezeichnung des Gegenstandes,
- Bilanzwert am Bilanzstichtag,
- Tag der Anschaffung/Herstellung,
- Höhe der Anschaffungs-/Herstellungskosten und ggf.
- Tag des Abgangs.
Außerdem sind die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer, die Abschreibungsmethode und etwaige außerplanmäßige Abschreibungen und Zuschreibungen zu verzeichnen.
Rz. 44
Zur Erhöhung der Bestandszuverlässigkeit wird allgemein empfohlen, im Rahmen eines mehrjährigen Aufnahmeturnus, z. B. alle 3 Jahre analog § 240 Abs. 3 HGB, eine körperliche Bestandsaufnahme des Anlagevermögens durchzuführen, um die Ergebnisse der Buchinventur zu bestätigen.
4.1.3 IT-gestützte Inventur
4.1.3.1 Inventur bei IT-Lagersystemen
Rz. 45
Bei vollautomatisch gesteuerten Lagersystemen, die in normalerweise nicht begehbaren Großlagerhallen eingesetzt werden, kann die EDV-gesteuerte Ein- und Auslagerung mit der Bestandsfortschreibung gekoppelt werden, so dass eine körperliche Bestandsaufnahme bei der Einlagerung ausreicht, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:
- jede körperliche Bewegung wird in der Bestandsfortschreibung erfasst,
- bei jeder Einlagerung erfolgt eine Leerplatzkontrolle, um Mehrfachbelegungen eines Faches auszuschließen,
- Teilentnahmen sind nicht möglich bzw. es erfolgt Vollentnahme mit Resteinlagerung,
- Aufnahme und Dokumentation bei Einlagerungen entsprechen den Grundsätzen ordnungsmäßiger Inventur, und Einlagerungen werden nach Art und Menge aufgezeichnet und kontrolliert,
- im laufenden Betrieb ist das Lager nicht begehbar und Unbefugten nicht zugänglich,
- spätestens zum Bilanzstichtag werden nicht bewegte Bestände im Geschäftsjahr aufgenommen,
- der gesamte am Bilanzstichtag vorhandene Bestand ist dokumentiert und die Einlagerungsbelege werden als Inventurbelege aufbewahrt.
Rz. 46
Aufgrund der Forderung nach vollständiger...