Dipl.-Betriebsw. (FH) Christian Hidding
Einführung
Der Wettbewerb wird immer härter. Häufig ist der Wunsch, jeden Auftrag zu Vollkosten zu kalkulieren, längst nicht mehr realistisch. Wird dennoch so kalkuliert, gehen Aufträge und somit Marktanteile verloren. Ein Kreislauf, der unterbrochen werden muss. Der folgende Beitrag zeigt auf, wie dies mit einer offensiven Nutzung der kurzfristigen Preisuntergrenze gelingt.
1 Angebotserstellung
Erziele ich an diesem Auftrag noch einen Gewinn oder nicht?
Häufig können kleine und mittlere Unternehmen diese Frage nicht abschließend beantworten, da die für die Angebotskalkulation benötigten Verrechnungs- und Zuschlagssätze nicht vorhanden sind. Daraus resultiert eine fortlaufende Unsicherheit bei Preisverhandlungen. Die zu treffenden Entscheidungen werden dann häufig aus dem "Unternehmerbauch" heraus getroffen und basieren somit nicht auf nachhaltig ermittelten Zuschlags- und Verrechnungssätzen.
Software-Berechnungen hinterfragen
Viele Unternehmen hinterfragen die durch die jeweilige Kalkulationssoftware ermittelten Angebote nicht. Grund: Die Software rechnet richtig! Die Kalkulationen sind jedoch nur so gut wie die berücksichtigten und in die Anwendung eingepflegten Zuschlags- und Verrechnungssätze. Sind diese veraltet, stimmt das ausgewiesene Ergebnis nicht. Gerade bei einer offensiven Nutzung der vorab beschriebenen Preisgrenzen kann das fatale Folgen haben.
Um sich dieser Herausforderung stellen zu können, wird eine Kalkulationsanwendung mit den individuellen Zuschlags- und Verrechnungssätzen des Unternehmens benötigt. Die individuelle Kalkulationsanwendung des Unternehmens sollte dabei drei Richtwerte als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stellen:
- geplanter Nettoverkaufspreis,
- langfristige Preisuntergrenze,
- kurzfristige Preisuntergrenze.
1.1 Nettoverkaufspreis
Der geplante Nettoverkaufspreis ist der Wunsch eines jeden Unternehmers. Sämtliche Kosten sind gedeckt und darüber hinaus kann noch ein Gewinnaufschlag realisiert werden (vgl. Beispiel in Abb. 1).
Abb. 1: Beispielkalkulation mit berechnetem Nettoverkaufspreis
In dem aufgeführten Beispiel hat der Unternehmer den von ihm ermittelten Preis in Höhe von 6.335,76 EUR realisieren können. Dieser beinhaltet die volle Deckung seiner Kosten und darüber hinaus bleibt noch ein Gewinn übrig.
1.2 Langfristige Preisuntergrenze
Bei der Ermittlung der langfristigen Preisuntergrenze werden sämtliche Kosten des Unternehmens anteilig berücksichtigt. Diese muss daher bei langfristiger Betrachtung mindestens erreicht werden, damit sämtliche Kosten gedeckt sind.
Das Beispiel in Abb. 2 zeigt, dass dieser Auftrag zwar keinen Gewinn erwirtschaftet. Dennoch sind alle Kosten gedeckt worden. Werden alle Aufträge eines Jahres so kalkuliert, erwirtschaftet das Unternehmen eine "schwarze" Null.
Abb. 2: Beispielkalkulation mit "schwarzer Null"
Die hier verwendete Kalkulationsanwendung signalisiert dem Anwender durch einen roten Balken, dass eine weiter gehende Reduzierung des Angebotspreises zu einer Unterschreitung der langfristigen Preisuntergrenze und somit nachhaltig zu Verlusten führt.
1.3 Kurzfristige Preisuntergrenze
Im Rahmen der Ermittlung der kurzfristigen Preisuntergrenze werden sämtliche Kosten berücksichtigt, die ausschließlich durch die Annahme eines Auftrages anfallen. Wird der Auftrag nicht angenommen, fallen diese Kosten nicht an. Daher müssen diese Kosten mindestens gedeckt werden, da ansonsten durch die Annahme eines Auftrages ein Verlust erwirtschaftet wird.
Das Beispiel in Abb. 3 zeigt durch einen zweiten roten Balken, dass die Kosten, welche direkt durch die Annahme des Auftrages ausgelöst werden, nicht gedeckt sind. Das bedeutet im übertragenen Sinne, dass man einen 100-EUR-Schein für 80 EUR verkauft. Derartige Aufträge sollten generell nicht angenommen werden.
Abb. 3: Auftragskalkulation mit Verlust
1.4 Aufträge zwischen der kurz- und langfristigen Preisuntergrenze
Grundsätzlich muss das Unternehmen bei langfristiger Betrachtung mindestens die langfristige Preisuntergrenze erreichen, damit keine Verluste erwirtschaftet werden. Immer dann, wenn das Unternehmen über freie Kapazitäten bedingt z. B. durch
- mangelnde Auslastung,
- Überstunden/Schichtausweitung,
- Wachstum,
- anlageintensive Leistungsbereiche etc.
verfügt, kann die Annahme eines Auftrags auch dann sinnvoll sein, wenn er oberhalb der kurzfristigen und unterhalb der langfristigen Preisuntergrenze liegt. Dies liegt darin begründet, dass die anteiligen Kosten, die zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Preisuntergrenze liegen, so oder so anfallen. Sie verhalten sich absolut fix. Besteht also die Möglichkeit, diese zumindest zum Teil durch einen zusätzlichen Auftrag zu decken, kann die Annahme sinnvoll sein. Sollte trotz freier Kapazitäten ein derartiger Auftrag nicht angenommen werden, verstreicht die Chance, das Ergebnis zu verbessern.
Wettbewerbsvorteil
Es ist zu erkennen, welch hohe Bedeutung die Richtwerte bei der Erstellung eines Angebots haben. Hieraus kann sich ein regelrechter Wettbewerbsvorteil entwickeln, da viele mittelständische Unternehmen nicht über derartig detaillierte Informationen verfügen.
2 Beispiele für die offensive Nutzung der Preisuntergrenze
Im Folgenden werden Beispielsituationen aufgezeigt, bei denen die offensive Nutzung d...