Leitsatz
* 1. Die Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft ist den Gesellschaftern auch dann nach Maßgabe der Fiktion des § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG am Tag nach der Beschlussfassung über die Ausschüttung zugeflossen, wenn der Beschluss keine betragliche Festlegung enthält und die abschließende Festlegung des Gewinns von dem noch fertig zu stellenden Jahresabschluss abhängig ist. Die im Anmeldungszeitraum des Zuflusses einer Gewinnausschüttung entstandene KapESt bleibt deshalb von einem späteren Rückzahlungsanspruch unberührt.
2. Der Geschäftsführer einer GmbH handelt grob fahrlässig i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG, wenn er über den Zeitpunkt des Zuflusses einer Gewinnausschüttung und damit das Entstehen der KapESt irrte, weil ihn der steuerliche Berater hierauf nicht besonders hingewiesen hat.
3. Der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH kann als Haftungsschuldner für von der GmbH nicht abgeführte KapESt auch insoweit in Anspruch genommen werden, als die Steuer auf seine eigenen Kapitaleinkünfte entfällt (Anschluss an BFH, Urteil vom 15.4.1987, VII R 160/83, BStBl II 1988, 167; Abweichung vom Senatsurteil vom 3.7.1968, I 191/65, BStBl II 1969, 4).
*Leitsätze nicht amtlich
Normenkette
§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG , § 44 Abs. 1 Sätze 3 und 5, Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die beiden Kläger waren alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer einer in Konkurs gegangenen GmbH. Sie stritten mit dem FA um ihre Inanspruchnahme als Haftende für KapESt.
Die Gesellschafterversammlung der GmbH hatte am 2.5.1994 beschlossen, "den Bilanzgewinn zum 31.12.1992 in voller Höhe auszuschütten. Darüber hinaus soll auch der Bilanzgewinn 1993 in voller Höhe ausgeschüttet werden. Insgesamt soll die jeweils höchstmögliche Ausschüttung für die Jahre 1990-1993 erfolgen, wie sie sich im Einzelnen aus der in Kürze fertig zu stellenden Bilanz 1993 ergibt. Dabei sollen KSt-Minderungen dem Ausschüttungsbetrag zugeschlagen werden". Daraufhin wurden Gewinne in beträchtlicher Höhe an die Kläger ausgeschüttet; KapESt wurde nicht einbehalten. Am 21.7.1994 verwies die Gesellschafterversammlung bezüglich der Verwendung des Bilanzgewinns 1993 auf den Gesellschafterbeschluss vom 2.5.1994.
Die GmbH gab beim FA eine KapESt-Anmeldung ab, führte davon jedoch nur einen Teilbetrag an das FA ab. Sodann wurde das Konkursverfahren eröffnet, woraufhin das FA gegen die Kläger jeweils Haftungsbescheide gem. § 69 Satz 1, § 34 AO i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG über die rückständige KapESt und die darauf entfallenden Säumniszuschläge erließ.
Entscheidung
Der BFH beließ keinen Zweifel: Wegen der Zuflussfiktion in § 44 Abs. 2 Satz 2 EStG musste bereits infolge des Ausschüttungsbeschlusses vom 2.5.1994 KapESt einbehalten und abgeführt werden. Dass es an der exakten Bezifferung des Ausschüttungsbetrags noch fehlte, sei ebenso unbeachtlich wie die etwaige gesellschaftsrechtliche Unwirksamkeit des Ausschüttungsbeschlusses.
Weil die KapESt seitens der GmbH dennoch nicht abgeführt und weil sie nunmehr rückständig und bei der GmbH auch nicht mehr eintreibbar gewesen sei, habe das FA die Kläger als Haftende in Anspruch nehmen dürfen. Diese hätten sich über die gesetzliche Fiktion des Zuflusszeitpunkts "schlau" machen müssen. Wenn das unterblieben sei, dann liege darin grobe Fahrlässigkeit. Die Geschäftsführer könnten sich jetzt nicht darauf berufen, der StB habe sie nicht besonders auf die Fiktion hingewiesen.
Es sei schließlich einerlei, dass die Kläger als Haftende zugleich Steuerschuldner seien und dass sie damit letztlich für ihre eigene ESt als Haftende in Anspruch genommen würden.
Hinweis
1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der Schuldner die KapESt für die Gläubiger einzubehalten. Aus § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG ergibt sich dazu ergänzend, dass der Tatbestand, an den § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG die Steuerabzugspflicht knüpft, mit dem Zufluss der Kapitalerträge dem Gläubiger zusammenfällt. Dieser Zeitpunkt ist nach § 44 Abs. 2 Satz 1 EStG bei Gewinnanteilen, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, der Tag, der im Beschluss als Tag der Auszahlung bestimmt worden ist. Ist die Ausschüttung nur festgesetzt, ohne dass über den Zeitpunkt der Auszahlung ein Beschluss gefasst worden ist, so gilt als Zeitpunkt des Zufließens allerdings der Tag nach der Beschlussfassung (§ 44 Abs. 2 Satz 2 EStG).
Diese gesetzliche Fiktion des Zuflusszeitpunkts hängt, wie der BFH nunmehr klargestellt hat, weder von der (gesellschaftsrechtlichen) Wirksamkeit des Ausschüttungsbeschlusses noch davon ab, dass die auszuschüttenden Beträge zahlenmäßig abschließend festgelegt worden sind. Es ist ebenfalls unbeachtlich, wenn die abschließende Festlegung der Beträge von dem noch fertig zu stellenden Jahresabschluss für das betreffende Jahr abhängig gemacht wird. Folglich lässt sich der KapESt-Abzug selbst dann nicht verhindern, wenn der Ausschüttungsgläubiger damit rechnen muss, alsbald Rückforderungsansprüchen der GmbH wegen Verstoßes gegen die Ka...