Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Eine Versicherung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG unterscheidet sich von einer Vermögensanlage ohne Versicherungscharakter dadurch, dass ein wirtschaftliches Risiko abgedeckt wird, das aus der Unsicherheit und Unberechenbarkeit des menschlichen Lebens für den Lebensplan des Menschen erwächst (biometrisches Risiko). Die durch die Lebensversicherung typischerweise abgedeckten Gefahren sind der Tod (Todesfallrisiko) oder die ungewisse Lebensdauer (Erlebensfallrisiko, Langlebigkeitsrisiko).
Zu den nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG steuerpflichtigen Renten- oder Kapitalversicherungen zählen nur solche, die einen Sparanteil enthalten. Bei solchen Versicherungen setzt sich der Versicherungsbeitrag grundsätzlich zusammen aus dem
- Kostenanteil (Beitragsteil insbesondere für Verwaltungsaufgaben des Unternehmens, Abschlusskosten, Inkassokosten),
- Risikoanteil (Beitragsanteil für Leistungen bei Eintritt eines charakteristischen Hauptrisikos: Tod bei Lebensversicherungen, Unfall oder Beitragsrückzahlung im Todesfall bei Unfallversicherungen mit garantierter Beitragsrückzahlung),
- Sparanteil (Beitragsanteil, der für die Finanzierung einer Erlebensfall-Leistung verwendet wird).
Keine Versicherungsverträge i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG sind Kapitalisierungsgeschäfte. Als Kapitalisierungsgeschäfte gelten Geschäfte, bei denen unter Anwendung eines mathematischen Verfahrens die im Voraus festgesetzten einmaligen oder wiederkehrenden Prämien und die übernommenen Verpflichtungen nach Dauer und Höhe festgelegt sind.
Bei Kapitalforderungen aus Verträgen mit Versicherungsunternehmen, bei denen es sich nicht um einen Versicherungsvertrag im oben angeführten Sinne handelt, richtet sich die Besteuerung des Kapitalertrags nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Aufklärungspflichten des Versicherers
Auch bei nach der VVG-Reform 2008 abgeschlossenen Verträgen ist der Versicherer entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Aufklärung bei Anlagegeschäften verpflichtet, den Versicherungsnehmer bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen über alle Umstände verständlich und vollständig zu informieren, die für seinen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind, wenn sich der Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung oder einer fondsgebundene Rentenversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft darstellt.
3.1.1 Lebensversicherungen mit individueller Vermögensverwaltung ("Versicherungsmäntel")
Auf dem Versicherungsmarkt besteht die Möglichkeit, Lebensversicherungen mit individueller Vermögensverwaltung abzuschließen (z. B. bei den besonders im Ausland vertriebenen sog. "Versicherungsmänteln"). Bei diesen Verträgen wird anders als bei konventionellen Lebensversicherungen für den Erlebensfall keine Versicherungsleistung garantiert. Der wirtschaftlich Berechtigte allein trägt das Kapitalanlagerisiko.
Ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
- In dem Versicherungsvertrag ist eine gesonderte Verwaltung von speziell für diesen Vertrag zusammengestellten Kapitalanlagen vereinbart und
- die zusammengestellten Kapitalanlagen sind nicht auf öffentlich vertriebene Investmentfondsanteile oder Anlagen, die die Entwicklung eines veröffentlichten Indexes abbilden, beschränkt und
- der wirtschaftlich Berechtigte kann unmittelbar oder mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen (Dispositionsmöglichkeit). Wirtschaftlich Berechtigter ist der Inhaber des Anspruchs auf die Versicherungsleistung. Das ist regelmäßig der Versicherungsnehmer, kann aber in den Fällen eines unwiderruflich eingeräumten Bezugsrechts auch ein Dritter sein. Sicherungsübereignung oder Pfändung führt grundsätzlich nicht zu einem Wechsel in der Person des wirtschaftlich Berechtigten.
3.1.1.1 Gesonderte Verwaltung speziell zusammengestellter Kapitalanlagen
Bei einer gesonderten Verwaltung wird die Sparleistung nicht vom Versicherungsunternehmen für eine unbestimmte Anzahl von Versicherten gemeinschaftlich, sondern separat für den einzelnen Vertrag angelegt bzw. verwaltet, wobei der wirtschaftlich Berechtigte das Kapitalanlagerisiko trägt. Die Kapitalanlage erfolgt bei einem vermögensverwaltenden Versicherungsvertrag typischerweise auf einem Konto oder Depot bei ...