Dipl.-Finanzwirt (FH) Andreas Willner
Mit seiner Klage vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg gegen den Steuerbescheid eines seiner eigenen Restaurants, wollte der Fachanwalt für Steuerrecht letztlich bis zum Bundesverfassungsgericht vordringen und den Gesetzgeber endlich zum Handeln zwingen. In seiner Klage trug er umfangreiche Argumente zusammen, die seinen Steuerbescheid als verfassungswidrig ausweisen.
Allerdings stellte er dabei klar, sein eigener Steuerbescheid sei richtig, aber zahlreiche Steuerbescheide seiner Mitkonkurrenten im Gastronomiegewerbe seien falsch. Der Steuerjurist machte den Staat dafür verantwortlich und warf ihm Pflichtverletzungen bei der Besteuerung bargeldintensiver Betriebe vor. Spätestens seit der Bundesrechnungshof im Jahr 2003 auf die vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten elektronischer Registrierkassensysteme hingewiesen hätte, wisse der Gesetzgeber von dem flächendeckenden Betrug – unternehme jedoch nichts. Der Fachanwalt für Steuerrecht bezeichnete diese Ungleichbehandlung als "strukturelles Vollzugsdefizit".
"Erst muss einer klagen, sonst ändert sich nichts", so der Kläger. Auf diese Weise hoffte er, seinem Ziel, nämlich diesen – nach seinen Worten – verfassungswidrigen Zustand zu beenden, näherzukommen. Nur durch eine Klage, meinte er, könne das gemeinsame Ziel, Gleichheit vor dem Gesetz und unverzerrte Wettbewerbsgleichheit, erreicht werden. Dass der Gastronom von einigen als "Nestbeschmutzer" angesehen wurde, störte ihn dabei nicht, sondern bestärkte ihn eher in seinem Vorhaben.
Die Sprungklage wurde als unbegründet abgewiesen. Revision wurde zugelassen.
Im Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof bezog das Bundesministerium für Finanzen mit Schreiben vom 28.11.2019 Stellung. Nach dessen Ansicht ist ein strukturelles Vollzugsdefizit nicht gegeben. Das BMF stützte sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Der Bundesfinanzhof entschied, dass für das Streitjahr 2015 hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen auch bei sog. bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit vorlag.
Der Bundesfinanzhof geht zunächst wie auch das Finanzgericht Baden-Württemberg und die Klägerin davon aus, dass die Möglichkeiten zur Manipulation von Kassenaufzeichnungen ein ernstzunehmendes Problem für den gleichmäßigen Steuervollzug darstellen. Es sei der Finanzverwaltung aber auch im Streitjahr bereits ohne weiteres möglich gewesen, bargeldintensive Betriebe verstärkt zu prüfen. Dass die Möglichkeit der Prüfung regelmäßig von der Anzahl der hierfür verfügbaren Mitarbeiter abhängt, sei kein spezifisches Problem der Effektivität der Besteuerung von bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse, sondern eine generelle Frage der Personalpolitik der Finanzbehörden. Ein entsprechender Personalmangel sei dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht zuzurechnen.
Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs lag daher trotz der im Streitjahr bestehenden Probleme bei der Erhebung und Verifikation von Besteuerungsgrundlagen im Bereich der bargeldintensiven Geschäftsbetriebe mit offener Ladenkasse hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei diesen Betrieben kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit vor. Die Probleme wären aber nicht dem Gesetzgeber zuzurechnen, weil auch im Jahr 2015 eine Rechtslage gegolten habe, die auf die Durchsetzung der geltenden Rechtslage zielte. Auch im Fall einer offenen Ladenkasse bestand nämlich ein Entdeckungsrisiko bei Manipulationen, sodass die Regelungen nicht derart ineffektiv waren, dass ein Unterlassen weiterer Regelungen für diesen Bereich dem Gesetzgeber als strukturelles Vollzugsdefizit angelastet werden könnte. In diesem Bereich sei auch zu berücksichtigen, dass auch normative Veränderungen zu berücksichtigen seien, die zwar erst nach dem Streitjahr in Kraft getreten sind, die sich aber typischerweise auf den Vollzug innerhalb der allgemeinen 4-jährigen Festsetzungsfrist auswirken konnten. Insofern sei auch zu berücksichtigen, dass mit Wirkung ab 1.1.2018 die Kassennachschau gem. § 146b AO gesetzlich implementiert wurde.