Dipl.-Finanzwirt (FH) Andreas Willner
Das befürchtet auch ein Fachanwalt für Steuerrecht vom Bodensee, gleichzeitig Besitzer mehrerer Restaurants. Als Steuerrechtler der Ehrlichkeit verpflichtet, weiß er genau wovon er spricht, wenn er behauptet: Viele Gastwirte entziehen nicht unerhebliche Teile ihres Umsatzes der Besteuerung. Einige können sogar nur deshalb wirtschaftlich überleben, erklärt er. Der Steuerehrliche ist oft nicht wettbewerbsfähig und der Fiskus ist trotz aller möglichen Maßnahmen nicht bereit, eine gleichmäßige Besteuerung herbeizuführen – bringt es der Gastronom auf den Punkt. Solange in Deutschland keine Registrierkassenpflicht besteht, wird es auch in Zukunft keinen unverzerrten Wettbewerb geben. Daran ändern seiner Meinung nach auch die 2020 in Kraft getretenen Verschärfungen des neuen Kassengesetzes nichts.
Hauptproblem ist die nach wie vor zulässige offene Ladenkasse. Bargeld fördert kriminelle Energie. Der schnelle Griff in die Kasse ist für viele eine unwiderstehliche Versuchung. Wer ehrlich ist und jeden Umsatz pflichtgemäß boniert, ist der Dumme! Der dumme Ehrliche kann nämlich gegenüber seinen Mitbewerbern preislich nicht mithalten. Er kann sein "Pils" nicht so billig anbieten, wie die Kneipe an der Ecke.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) geht bei der Hinterziehung von Bareinnahmen von Einzelfällen aus und behauptet, dass es in jeder Branche schwarze Schafe gäbe. Das will der Restaurantbesitzer jedoch nicht gelten lassen. Statistische Auswertungen von Betriebsprüfungen in Niedersachsen sprächen eine ganz andere Sprache. Sie belegten klar, dass den vielen ehrlichen Unternehmern in der Gastrobranche längst nicht nur einzelne Ausreißer gegenüberstehen, die ihnen das Geschäft vermiesen.
Mit seiner Klage vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg gegen den Steuerbescheid eines seiner eigenen Restaurants, will er letztlich bis zum Bundesverfassungsgericht vordringen und den Gesetzgeber endlich zum Handeln zwingen. In seiner Klage trägt er umfangreiche Argumente zusammen, die seinen Steuerbescheid als verfassungswidrig ausweisen. Allerdings stellt er dabei klar, sein Steuerbescheid sei richtig, aber zahlreiche Steuerbescheide seiner Mitkonkurrenten im Gastrogewerbe seien falsch. Der Steuerjurist macht den Staat, dafür verantwortlich und wirft ihm Pflichtverletzungen bei der Besteuerung bargeldintensiver Betriebe vor. Spätestens seit der Bundesrechnungshof im Jahr 2003 auf die vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten elektronischer Registrierkassensysteme hingewiesen hat, wisse der Gesetzgeber von dem flächendeckenden Betrug – unternehme jedoch nichts. Er bezeichnet diese Ungleichbehandlung als "strukturelles Vollzugsdefizit".
"Erst muss einer klagen, sonst ändert sich nichts", so der Kläger. Auf diese Weise hofft er seinem Ziel, nämlich diesen verfassungswidrigen Zustand zu beenden, näherzukommen. Nur durch eine Klage, meint er, könne das gemeinsame Ziel, Gleichheit vor dem Gesetz und unverzerrte Wettbewerbsgleichheit, erreicht werden. Dass der Gastronom von einigen als "Nestbeschmutzer" angesehen wird, stört ihn dabei nicht, sondern bestärkt ihn eher in seinem Vorhaben.
Gegen das zugehörige Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg wurde Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt. Dieser entschied, dass für das Streitjahr 2015 hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen auch bei sog. bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit vorlag.
Der Bundesfinanzhof geht zunächst wie auch das Finanzgericht Baden-Württemberg und die Klägerin davon aus, dass die Möglichkeiten zur Manipulation von Kassenaufzeichnungen ein ernstzunehmendes Problem für den gleichmäßigen Steuervollzug darstellen. Es sei der Finanzverwaltung aber auch im Streitjahr bereits ohne weiteres möglich gewesen, bargeldintensive Betriebe verstärkt zu prüfen. Dass die Möglichkeit der Prüfung regelmäßig von der Anzahl der hierfür verfügbaren Mitarbeiter abhängt, sei kein spezifisches Problem der Effektivität der Besteuerung von bargeldintensiven Betrieben mit offener Ladenkasse, sondern eine generelle Frage der Personalpolitik der Finanzbehörden. Ein entsprechender Personalmangel sei dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht zuzurechnen.
Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs lag daher trotz der im Streitjahr bestehenden Probleme bei der Erhebung und Verifikation von Besteuerungsgrundlagen im Bereich der bargeldintensiven Geschäftsbetriebe mit offener Ladenkasse hinsichtlich der Erfassung von Bareinnahmen bei diesen Betrieben kein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit vor. Die Probleme wären aber nicht dem Gesetzgeber zuzurechnen, weil auch im Jahr 2015 eine Rechtslage gegolten habe, die auf die Durchsetzung der geltenden Rechtslage zielte. Auch im Falle einer offenen Ladenkasse bestand nämlich ein Entdeckungsrisiko bei Manipulationen, sodass die Regelungen nicht derart ineffektiv waren, dass ein Unterlassen weiterer Regelungen für diesen Bereich dem Gesetzgeber als strukturell...