Leitsatz
1. Das Erfassen bestimmter Fernmeldevorgänge durch die Strafverfolgungsbehörden und die Weitergabe der hieraus resultierenden Aufzeichnungen an die Finanzverwaltung zur Durchführung eines Besteuerungsverfahrens greift in den durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Bereich ein.
2. Das dem Art. 10 Abs. 1 GG zu entnehmende Verwertungsverbot für Erkenntnisse aus Abhörmaßnahmen hat für Zwecke der Besteuerung keine i.S.d. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG zulässige Durchbrechung erfahren. § 100a StPO ermächtigt ausschließlich die Strafverfolgungsbehörden zur Telefonüberwachung, wenn der Verdacht besteht, dass eine Katalogstraftat begangen worden ist. Die AO 1977 selbst enthält weder eine Befugnisnorm für eine Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses noch eine Vorschrift, die die Verwertung von Aufzeichnungen zulässt, die auf der Grundlage des § 100a StPO gewonnen worden sind.
3. Für Aufzeichnungen, die unmittelbar aus einer Telefonüberwachung in einem Strafverfahren resultieren, besteht folglich im Besteuerungsverfahren ein Verwertungsverbot, das gleichermaßen für Sicherungsmaßnahmen – wie den dinglichen Arrest – gilt.
Normenkette
§ 88 AO , Art. 10 Abs. 1 und 2 GG , § 100a StPO
Sachverhalt
Das HZA hatte einen dinglichen Arrest in das Vermögen einer Person angeordnet, weil zu befürchten sei, dass sonst die Beitreibung von dieser geschuldeter Abgaben vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Nach den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung gehöre diese Person nämlich zu einer Tätergruppe, die Zigaretten eingeschmuggelt habe.
Das FG hat die Vollziehung der Anordnung ausgesetzt und die Beschwerde gegen diese Entscheidung zugelassen. Sie hatte jedoch beim BFH keinen Erfolg.
Entscheidung
Es bestehe weder ein Arrestanspruch noch ein Arrestgrund. Denn die aus aufgezeichneten Telefongesprächen gewonnenen Erkenntnisse dürften weder in einem Besteuerungsverfahren noch im Sicherungsverfahren verwertet werden. Die AO enthalte weder eine eigenständige Rechtsgrundlage für eine Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) noch eine Vorschrift, die die Verwertung von Aufzeichnungen zulässt, die auf der Grundlage des § 100a StPO gewonnen worden sind. Insbesondere § 92 Satz 2 Nr. 3 AO enthalte keine Ermächtigung zur Verwertung von Aufzeichnungen einer nach § 100a StPO richterlich angeordneten Telefonüberwachung.
Hinweis
Art. 10 GG schützt Telefongespräche zunächst davor, dass staatliche Stellen von ihrem Inhalt überhaupt durch Abhören Kenntnis erlangen. Der von Art. 10 GG gewährte Geheimnisschutz erlischt aber nicht etwa dann, wenn eine staatliche Stelle solche Kenntnis erst einmal erlangt hat; er erstreckt sich vielmehr selbstredend auf die Weitergabe der beim Abhören gewonnenen Daten und Informationen.
Eine Ermächtigungsgrundlage ist daher nicht nur für das Abhören von Telefonen als solches, sondern auch für die Überführung der dabei gewonnenen Daten in einen anderen "Verwendungszusammenhang" erforderlich. Denn eine solche Weiterverwertung der Daten kann für die Betroffenen mit zusätzlichen, unter Umständen schwereren Folgen verbunden sein als die Datenerhebung (und ggf. Auswertung) im ursprünglichen Verwendungszusammenhang, in dem abgehört worden ist (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 100, 313, 359).
Das Fernmeldegeheimnis ist freilich nicht absolut geschützt. Grenzen der Gewährleistung des Grundrechts aus Art. 10 GG ergeben sich vielmehr aus den Gesetzen.
So gestatten die §§ 100a, 100b StPO im Strafverfahren Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis, allerdings grundsätzlich nur auf richterliche Anordnung und wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine der dort enumerativ aufgeführten Straftaten (sog. Katalogstraftaten) begangen worden ist.
Das FA oder HZA kann sich jedoch, wie sich von selbst begreift, auf diese Vorschrift für ein Besteuerungsverfahren nicht berufen. Seine Befugnisse ergeben sich insoweit aus der AO. Selbst Telefone abhören kann es zweifellos nicht. Allenfalls kommt eine Verwertung von den Strafverfolgungsbehörden abgehörter Gespräche in Betracht. Auch dafür gibt es indes in der AO oder anderweit keine gesetzliche Grundlage. §§ 92 und 116 AO enthalten keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Weitergabe von den Strafverfolgungsbehörden gewonnener Telefonüberwachungsergebnisse. Denn sie geben keinen Amtshilfeanspruch, wenn die helfende Behörde mit ihrer Hilfe an die hilfesuchende Behörde (FA), d.h. durch eine Auskunft oder durch die Vorlage von Urkunden gegen das Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG verstoßen würde (§ 105 Abs. 2 AO). Es ist keine Befugnis der Strafverfolgungsbehörden gesetzlich geregelt, in das Telefongeheimnis durch Weitergabe in einem strafrechtlichen Verfahren gewonnener Erkenntnisse an andere Behörden für von denen geführte nicht-strafrechtliche Verfahren einzugreifen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.2.2001, VII B 265/00