Leitsatz
1. § 2a Abs. 5 Nr. 2 der Abgabenordnung ordnet die entsprechende Geltung der Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung für Informationen, die sich auf identifizierte oder identifizierbare Körperschaften beziehen, an.
2. Die Datenschutz-Grundverordnung enthält keinen Anspruch auf Akteneinsicht.
3. Der zuständige Spruchkörper ist grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, einen geltend gemachten Anspruch unter allen zumindest denkbaren rechtlichen Aspekten zu prüfen.
4. Weder aus der Abgabenordnung noch aus dem Recht auf effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) sowie dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht.
Normenkette
§ 2a Abs. 5 Nr. 2 AO, Art. 15 DSGVO, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 41 Abs. 2 Buchst. b EUGrdRCh
Sachverhalt
Streitig ist das Bestehen eines Anspruchs auf Akteneinsicht in die bei einer Fachaufsichtsbehörde geführten Akten.
Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft, streitet sich mit dem für sie zuständigen FA um die Anerkennung einer Teilwertabschreibung. Der Beklagte, eine oberste Landesbehörde, verfasste hierzu diverse Stellungnahmen und wies das FA schließlich im Rahmen der Fachaufsicht an, die Teilwertabschreibung zu versagen.
Die Klägerin beantragte unter Hinweis auf Art. 15 DSGVO i.V.m. § 2a AO Akteneinsicht beim Beklagten, die ihr mit Bescheid vom 6.11.2020 versagt wurde. Der Beklagte führte aus, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht "weder nach der DSGVO noch nach der AO" existiere.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 21.6.2022, 12 K 34/21).
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Auf die Praxis-Hinweise wird verwiesen.
Hinweis
Im Streitfall ging es um einen Antrag auf Akteneinsicht, den die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft, auf Art. 15 DSGVO gestützt hatte.
1. Zwar dient die DSGVO unmittelbar nur dem Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen. § 2a Abs. 5 Nr. 2 AO ordnet jedoch die entsprechende Geltung der Vorschriften der DSGVO für Informationen an, die sich auf identifizierte oder identifizierbare Körperschaften beziehen.
2. Die DSGVO sieht keinen Anspruch auf Akteneinsicht vor.
Das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO beinhaltet kein Akteneinsichtsrecht. Bei der Gewährung von Akteneinsicht handelt es sich um ein Aliud. In der Praxis muss genau unterschieden werden, welche Rechte der Betroffene geltend machen möchte. Denn die formellen Anforderungen unterscheiden sich erheblich. Zum Beispiel findet in den Fällen des Auskunftsrechts nach der DSGVO kein Einspruchsverfahren statt (§ 32i Abs. 9 AO).
3. Der Anspruch auf Akteneinsicht ist – anders als der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO – kein gebundener Anspruch. Weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO lässt sich ein gebundener Anspruch ableiten. Das gilt auch für das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG. Schließlich hatte sich die Klägerin auf Art. 41 EUGrdRCh berufen. Adressat des darin enthaltenen Grundrechts auf eine gute Verwaltung sind jedoch nur Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union, nicht aber Behörden der Landesfinanzverwaltung in den EU-Mitgliedstaaten.
4. Dem Betroffenen steht lediglich ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde zu. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH.
Im Streitfall hatte die Behörde das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Denn sie hatte im Bescheid lediglich ausgeführt, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht weder nach der DSGVO noch nach der AO existiere. Das trifft zwar zu, jedoch hat die Behörde es unterlassen, irgendwelche Ermessenserwägungen anzustellen. Weil die Behörde ihre Ermessenerwägungen nach § 102 Satz 2 FGO allenfalls hätte ergänzen können (aber nicht erstmals anstellen), konnte der BFH durchentscheiden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.9.2024 – IX R 24/23