Leitsatz
1. Dem EuGH-Urteil Reemtsma (EU:C:2007:167) ist kein unionsrechtliches Gebot zu entnehmen, einen Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus anzuerkennen, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.
2. Die Regelungen, die das deutsche Umsatzsteuer- und Abgabenrecht zum Schutz des Leistungsempfängers bereithält, der die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer dem Rechnungsaussteller gezahlt hat, werden den Anforderungen, die der EuGH an eine systemgerechte Abwicklung zu Unrecht erhobener und gezahlter Umsatzsteuer stellt, grundsätzlich gerecht.
Normenkette
§ 37 Abs. 2, § 163, § 227 AO, § 15 Abs. 1 UStG
Sachverhalt
Die Klägerin beauftragte die Fa. E mit der Durchführung von Messen. Für ihre Leistungen erstellte E Rechnungen, in denen USt ausgewiesen war. Diese führte E an das FA ab und die Klägerin machte sie als Vorsteuer bei dem für sie zuständigen FA X geltend. Durch eine Prüfung wurde festgestellt, dass die Leistungen der E im Ausland erbracht worden und im Inland nicht umsatzsteuerpflichtig waren. Daraufhin zahlte die Klägerin dem Finanzamt X die Vorsteuerbeträge zurück und forderte von E die Rückzahlung der in Rechnung gestellten USt.
Der inzwischen über das Vermögen der E eingesetzte Insolvenzverwalter beantragte beim FA mit Erfolg die Erstattung der entrichteten USt, berichtigte die der Klägerin erteilten Rechnungen und verwies diese auf die Anmeldung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle.
Den an das FA gerichteten Antrag der Klägerin, ihr die USt gemäß § 37 Abs. 2 AO zu erstatten, lehnte das FA ab und erteilte einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.
Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab. Nicht die Klägerin, sondern E habe die USt rechtsgrundlos gezahlt. Eine Umqualifizierung der Zahlung nach Insolvenz des Leistenden als eine solche auf Rechnung seines Vertragspartners, dem die USt zu Unrecht in Rechnung gestellt worden sei, komme nicht in Betracht. Auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung des Reemtsma-Urteils des EuGH bestehe dafür keine Notwendigkeit. Die Billigkeitsregelungen der AO seien insoweit ausreichend (FG Köln, Urteil vom 24.4.2014, 1 K 2015/10, Haufe-Index 7199119, EFG 2014, 1566).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Hinweis
Etwas ganz und gar nicht Außergewöhnliches: Ein Unternehmer erbringt eine Lieferung oder Leistung, erstellt eine Rechnung über das vereinbarte Entgelt zuzüglich Umsatzsteuer (USt) und der Kunde zahlt den Betrag. Später stellt sich dann heraus, dass der leistende Unternehmer für die Lieferung/Leistung keine USt schuldete. Also wird das Ganze rückabgewickelt. Nach Berichtigung der Rechnung erstattet das FA dem Unternehmer die USt, dieser leitet die Erstattung an seinen Kunden weiter und alle sind zufrieden. Eigentlich ein einfach zu lösender Fall, wenn da nicht der EuGH mit seinem sog. Reemtsma-Urteil wäre (Urteil Reemtsma vom 15.3.2007, C-35/05, EU:C:2007:167).
Obwohl die einschlägigen Unionsrichtlinien keine Erstattungsvorschrift für die Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter USt durch den Aussteller vorsehen, leitet der EuGH aus den Grundsätzen der Neutralität und Effektivität der Mehrwertsteuer eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ab, den Leistungsempfänger, auf den die USt abgewälzt wurde, zu entlasten. Zwar sei es insoweit ausreichend, wenn nach nationalem Recht nur der Leistende einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter USt gegen die Steuerbehörden habe und der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen den Leistenden erheben könne. Für den Fall, dass die Erstattung unmöglich oder übermäßig erschwert werde, müssten die Mitgliedstaaten jedoch – damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt werde – die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Leistungsempfänger ermöglichten, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen (Rz. 42 des Urteils).
Ob der EuGH überblickt hat, welche Probleme er mit diesem Nachsatz anrichtet, darf bezweifelt werden. Wieder einmal betont der EuGH zunächst, es sei im Fall fehlender unionsrechtlicher Bestimmungen Sache der Mitgliedstaaten, diese Lücke zu füllen – mischt sich dann aber doch intensiv in die nationale Zuständigkeit ein. Versuche, seine problematische Aussage auf grenzüberschreitende Sachverhalte zu beschränken, dürften in Anbetracht der EuGH-Urteile Marks & Spencer vom 11.7.2002, C‐62/00 (EU:C:2002:435) sowie Danfoss und Sauer-Danfoss vom 20.10.2011, C-94/10, (EU:C:2011:674) als gescheitert anzusehen sein.
Was also soll im Fall zwar in Rechnung gestellter, jedoch zu Unrecht erhobener USt geschehen, wenn es dem Leistungsempfänger unmöglich oder erschwert ist, den zuviel entrichteten Betrag vom Leistenden zurückzuerhalten, was man ja im Fall der ...