Leitsatz
Ein Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt bei nachträglicher Zuordnung von Einkünften zu einem anderen Veranlagungszeitraum nicht in Betracht.
Normenkette
§§ 233a, 227 AO
Sachverhalt
Nach einer Außenprüfung gelangte das FA im Jahr 1995 zu der zutreffenden Erkenntnis, dass ein von der Klägerin erzielter Veräußerungsgewinn nicht – wie in den bisherigen Einkommensteuerbescheiden angenommen – im Jahr 1992, sondern bereits 1991 zu versteuern sei. Dies führte für 1991 zu einer Steuernachzahlung und für 1992 zu einer Steuererstattung. Dementsprechend setzte das FA in bestandskräftigen Zinsbescheiden für 1991 Nachzahlungszinsen und für 1992 Erstattungszinsen fest.
Die Klägerin begehrte, den Überhang der Nachzahlungszinsen über die Erstattungszinsen i.H. eines Teilbetrags aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Das FA versagte den Erlass. Die dagegen erhobene Klage hatte vor dem FG Erfolg (EFG 2004, 1020). Der BFH folgte dem nicht und wies die Klage ab.
Entscheidung
Im Gegensatz zum FG habe das FA den von der Klägerin begehrten Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen zu Recht mit der Erwägung abgelehnt, dass das Ausklammern von Gewinnverlagerungen aus der Vollverzinsung nach § 233a AO dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde.
In der öffentlichen Anhörung zum StRG 1990, mit dem die Verzinsung nach § 233a AO eingeführt worden sei, habe der Bundesverband der Deutschen Industrie u.a. eingewendet, dass die Verzinsung auch "bloße Gewinnverlagerungen" erfasse und daher Auseinandersetzungen zwischen Finanzverwaltung und Unternehmen zur Folge haben würde. Gleichwohl habe der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Umstands an der Verknüpfung der Vollverzinsung nach § 233a AO mit der jahrgangsbezogenen Steuerfestsetzung festgehalten und keine Sonderregelung für die Fälle getroffen, in denen Steuernachforderungen in einem engen sachlichen Zusammenhang mit Steuererstattungen stünden.
Hinweis
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (nur) dann in Betracht, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (hier: Anspruch auf Nachforderungszinsen nach § 233a AO) zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.10.1994, X R 104/92, BStBl II 1995, 297, m.w.N.; speziell für Zinsansprüche nach § 233a AO vgl. BFH, Urteil vom 16.8.2001, V R 72/00, BFH/NV 2002, 545).
Dies traf nach Auffassung des BFH im vorliegenden Fall, in welchem eine spätere Außenprüfung zu einer "Gewinnverlagerung" aus dem Veranlagungszeitraum 1992 in den Veranlagungszeitraum 1991 geführt hatte und sich daraus ein Überhang von Nachforderungszinsen für 1991 über die Erstattungszinsen für 1992 ergab, nicht zu, weil der Gesetzgeber – wie die Entstehungsgeschichte des § 233a AO belege – das Problem des Zinsüberhangs bei solchen Gewinnverschiebungen gesehen und die daraus resultierenden Zinseffekte bewusst in Kauf genommen habe.
In diesem Zusammenhang darf im Übrigen nicht übersehen werden, dass sich die bei späteren Gewinnverlagerungen ergebenden Zinseffekte – anders als im Streitfall – auch zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken können. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn es zu einer späteren Verlagerung von Einkünften von einem früheren in einen späteren Veranlagungszeitraum kommt und sich in der Folge ein Überhang der vom Steuerpflichtigen zu beanspruchenden Erstattungszinsen über die Nachforderungszinsen einstellt.
Im Hinblick hierauf weist der BFH im Besprechungsurteil mit Recht darauf hin, dass einem sachlichen Billigkeitserlass im Streitfall auch der Gesichtspunkt der Symmetrie ("Waffengleichheit") entgegenstünde.
Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen hat der BFH nur in – nicht zu verallgemeinernden – Sonderfällen angenommen (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 11.7.1996, V R 18/95, BStBl II 1997, 259, betreffend abweichende zeitliche Zuordnung eines Umsatzes; BFH, Urteil vom 15.10.1998, IV R 69/97, BStBl II 1999, 41, betreffend Gewinnverlagerung aus einem Jahr vor In-Kraft-Treten des § 233a AO in ein Jahr nach In-Kraft-Treten dieser Regelung, namentlich von 1988 in 1989).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.11.2005, X R 3/04