Leitsatz
Der Mindeststeuersatz gem. § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 von 25 % des Einkommens eines gebietsfremden beschränkt Steuerpflichtigen aus selbstständiger Arbeit verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht, sofern er nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den betroffenen Steuerpflichtigen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrags in Höhe des Grundfreibetrags ergeben würde (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 12.6.2003, Rs. C-234/01"Gerritse", BStBl II 2003, 859).
Normenkette
§ 18 EStG 1990 , § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1990 , § 46 Abs. 2 Nrn. 2 und 8 EStG 1990 , § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990 , § 50 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG 1990 , Art. 52 EGV (= Art. 43 EG) , Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Kläger war ein niederländischer Staatsangehöriger. Er wohnt in den Niederlanden. Sein dort zu versteuerndes Einkommen betrug im Streitjahr 1995 861.626 hfl. Darin enthalten waren Einnahmen von 50.000 DM aus einer in Deutschland ausgeübten Tätigkeit als Beirat einer GmbH & Co. KG. Das FA setzte die Einkommensteuer auf die im Inland bezogenen Einnahmen unter Bezugnahme auf § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 mit 12.500 DM fest. Die hierauf entfallende Steuer wurde in den Niederlanden neben der Steuer auf andere ausländische Einkünfte von der Gesamtsteuerbelastung abgezogen.
Der Klage, mit der der Kläger die Veranlagung unter Zugrundelegung des Einkommensteuertarifs nach § 32a EStG 1990 begehrte, wurde stattgegeben (EFG 2002, 916). Der Mindeststeuersatz des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 von 25 % sei gemeinschaftsrechtswidrig. Das ergebe sich aus dem EuGH-Urteil vom 27.6.1996, Rs. C-107/94"Asscher" (Slg. 1996, I-3089, 3124), welches die unmittelbare Nichtanwendung des § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990 nach sich ziehe.
Entscheidung
Zwischenzeitlich war vom EuGH nun das besagte "Gerritse"-Urteil in die Welt gesetzt worden, so dass der BFH relativ leichtes Spiel hatte und im Sinn dieses Urteils entscheiden konnte: Maßgeblich seien zwar die Nettoeinkünfte, der Grundfreibetrag sei dem holländischen Beirat jedoch nicht zu gewähren. Gleichheitsrechtliche Bedenken, die insbesondere das FG Berlin hat (s. die Praxis-Hinweise unter 3.), wurden verworfen.
Hinweis
1. Mit Urteil vom 12.6.2003 C-234/01 "Gerritse" (BFH-PR 2003, 342) hat der EuGH klipp und klar entschieden: Der Mindeststeuersatz, dem beschränkt Steuerpflichtige unterworfen sind (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EStG 1990), sei solange nicht zu beanstanden, wie er den Steuersatz für unbeschränkt Steuerpflichtige nicht übersteige, was in der Regel den Ansatz der Nettoeinkünfte erfordere. Der Grundfreibetrag müsse den beschränkt Steuerpflichtigen hingegen nicht gewährt werden. Es handele sich hierbei um eine soziale Wohltat des jeweiligen Mitgliedstaats zugunsten seiner gebietsansässigen Bürger.
2. Das wurde zugunsten von Herrn "Gerritse" entschieden, einem holländischen Musiker, der im Inland dem Steuerabzug gem. § 50a Abs. 4 Satz 2 EStG 1996 unterworfen worden war.
Im Urteilsfall des BFH ging es ebenfalls um einen Holländer, der aber im Inland als Beirat einer GmbH & Co. KG selbstständige Einkünfte erzielte und hier mit gem. § 46 Abs. 2 Nrn. 2 und 8 EStG 1990 veranlagt worden war. Der BFH belässt indes keinen Zweifel: Was dem beschränkt Steuerpflichtigen, bei dem die Steuer abgeltend abgezogen werde, recht sei, sei dem vergleichbar Veranlagten nur billig. Auch bei einem solchen seien die Nettoeinkünfte anzusetzen, jedoch kein Grundfreibetrag zu gewähren.
Ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zu nichtselbstständig Tätigen, denen nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1990 der Grundfreibetrag gewährt wird, sieht der BFH nicht: Anders als solche Personen verfüge der selbstständig Tätige regelmäßig über weitere Einkünfte im Wohnsitzstaat, so dass einem solchen dort der Grundfreibetrag gewährt werden könne.
3. Mit dieser Entscheidung ist der BFH uneingeschränkt dem EuGH gefolgt. Er hat zugleich – sozusagen implizit – die Ungewissheiten "begradigt", die sich aus dem (nationalen) Endurteil des FG Berlin im "Gerritse"-Fall ergeben haben. Dieses hatte sich nämlich (im Urteil vom 25.8.2003, EFG 2003, 1709) überraschenderweise nicht in sein "Schicksal" ergeben und ist nicht schlicht dem EuGH gefolgt. Es hat Herrn Gerritse den begehrten Grundfreibetrag vielmehr trotz des EuGH-Judikats zugesprochen, wenn auch nicht aus europarechtlichen, so doch aus Verfassungsgründen: Denn es sei nicht einzusehen, weshalb einem nichtselbstständig Tätigen der Grundfreibetrag kraft Gesetzes eingeräumt werde (in § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1990), dem selbstständig Tätigen jedoch nicht. Darin liege ein Gleichheitsverstoß, der im Weg einer verfassungskonformen Analogie zu überspielen sei.
Wie gesagt: Der BFH hat solche Gedanken verworfen. Zwischen einem nichtselbstständig und einem selbstständig Tätigen bestünden sehr wohl Unterschiede. Ein Gleichheitsverstoß bestehe nicht. Gegen das Urteil des FG Berlin ist zwar noch ein Revisionsverfahren anhängig (Az. I R 87/03). Die Klar...