Leitsatz
1. Die Rücknahme eines Einspruchs verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und kann nicht als eine illoyale Rechtsausübung angegriffen werden.
2. Versäumt es das FA, einen Dritten gem. § 174 Abs. 5 AO am Verfahren zu beteiligen, und scheidet deshalb dem Dritten gegenüber die Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO aus, so ist der Dritte nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet, dem FA durch Antrag oder Zustimmung eine Änderung nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu ermöglichen.
Normenkette
§ 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 174 Abs. 4 und 5 AO, § 242 BGB
Sachverhalt
Die klagende KG war Organträgerin einer GmbH. Gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid, in dem das positive Ergebnis der GmbH nicht enthalten war, hatte sie Einspruch wegen der Nichtanerkennung des Ergebnisabführungsvertrags eingelegt und sich dafür auf ein Einspruchsverfahren gegen den KSt-Bescheid der GmbH bezogen. Das für die KG zuständige FA ließ den Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid bis zur Entscheidung über den KSt-Bescheid ruhen.
Gut zwei Jahre später gab das für die GmbH zuständige FA dem Einspruch gegen den KSt-Bescheid statt und erkannte die Organschaft an. Das für die KG zuständige FA reagierte auf eine entsprechende Mitteilung zunächst nicht. Einige Monate später nahm die KG ihren Einspruch zurück. Später stellte das FA fest, dass die KG im Einspruchsverfahren der KSt nicht hinzugezogen worden war. Nun berief sich das FA auf eine nach Treu und Glauben gebotene Zustimmung der KG zu einer Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids und erließ einen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO geänderten Bescheid unter Einbeziehung des Gewinns der GmbH.
Das FG gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 08.05.2007, 1 K 1988/06, Haufe-Index 1797018, EFG 2007, 1919).
Entscheidung
Die Revision des FA blieb erfolglos. Es könne dahinstehen, ob die KG neben dem Einspruch noch einen Antrag auf schlichte Änderung gestellt habe. Jedenfalls habe sie Einspruch und ggf. Antrag zurücknehmen können, ohne dass dies als illoyale Rechtsausübung anzusehen sei. Das FA habe verfahrensrechtliche Möglichkeiten gehabt, die Einkünfte der KG zutreffend festzustellen.
Hinweis
1. Das Urteil betrifft die Frage, ob Steuerpflichtige nach Treu und Glauben verpflichtet sein können, einen Antrag auf schlichte Änderung eines Steuerbescheids zu ihrem Nachteil zu stellen. Die in § 242 BGB allgemein normierten Grundsätze von Treu und Glauben sind der Rechtsordnung immanente und in allen Rechtsgebieten gültige Grundsätze. Sie gelten deshalb auch im Steuerrecht.
2. Unter anderem gehört zu diesen Grundsätzen auch, dass man sich nicht zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen darf. Daraus lässt sich aber nicht das Verbot ableiten, einen Rechtsbehelf zurückzunehmen, wenn man erkennt, dass einem die zu erwartende Entscheidung Nachteile bringen kann. Im Gegenteil: Auf eine mögliche Verböserung muss der Rechtsbehelfsführer hingewiesen werden, damit er zur Vermeidung von Nachteilen den Rechtsbehelf zurücknehmen kann.
Sollte der Rechtsbehelf von Anfang an darauf hinausgelaufen sein, dass es zu einer ungünstigeren Festsetzung kommt, wäre er unzulässig gewesen. Denn ein Rechtsbehelf soll dazu dienen, rechtswidrig zum Nachteil des Rechtsbehelfsführers wirkende Verwaltungsakte zu korrigieren. Wird eine solche Rechtsbeeinträchtigung nicht geltend gemacht, ist der Rechtsbehelf als unzulässig zu verwerfen. Die Behörde darf in der Sache nicht entscheiden, schon gar nicht verbösernd.
3. Nicht erwartet werden kann vom Steuerpflichtigen auch, dass er das FA durch ihm nachteilige Anträge in die Lage versetzt, Verfahrensfehler "auszubügeln", die eine materiell richtige Festsetzung verhindern. Wenn das Verfahrensrecht eine Korrektur solcher Verfahrensfehler nicht mehr ermöglicht, entspricht das der Entscheidung des Gesetzgebers, nun Rechtsfrieden eintreten zu lassen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 05.11.2009 – IV R 40/07