Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Eine umsatzsteuerliche Organschaft ist nicht schon bei Bestellung eines vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters beendet. Der Berichtigungsanspruch für uneinbringlich gewordene Verbindlichkeiten richtet sich gegen den ehemaligen Organträger.
Sachverhalt
Zwischen dem Kläger und einer von ihm beherrschten GmbH bestand unstrittig eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Die Umsätze der Organgesellschaft wurden vom Organträger (Kläger) besteuert. Im März 2002 beantragte der Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH wegen Liquiditätsproblemen/Zahlungsunfähigkeit. Am 19.3.2002 ordnete das zuständige Amtsgericht Sicherungsmaßnahmen an und bestellte einen vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter. Durch Beschluss des zuständigen Amtsgerichts vom 20.8.2002 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.
Nach einer Betriebsprüfung für 2002 sah das Finanzamt offene Verbindlichkeiten der GmbH als uneinbringlich an und korrigierte den vorgenommenen Vorsteuerabzug. Der Rückzahlungsbetrag wurde gegenüber dem Kläger als (ehemaligen) Organträger festgesetzt.
Der Kläger wandte sich gegen die ihm gegenüber festgesetzte Vorsteuerkorrektur, da die Vorsteuerberichtigung bei der Organgesellschaft durchzuführen sei, weil die entsprechenden Verbindlichkeiten erst nach Beendigung der Organschaft für die Gläubiger der GmbH uneinbringlich geworden seien. Die Verbindlichkeiten seien erst zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich geworden. Die Organschaft sei aber bereits bei Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters beendet worden.
Die gegen die Vorsteuerrückforderung gerichteten Einsprüche wurden vom Finanzamt zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Klage.
Entscheidung
Die Klage wurde vom FG als unbegründet abgewiesen.
Nach den Feststellungen des Gerichts waren die Forderungen unstrittig zu berichtigen gewesen. Eine Forderung ist nicht erst dann uneinbringlich, wenn sie schlechthin keinen Wert mehr hat, sondern bereits dann, wenn sie für geraume Zeit nicht durchsetzbar ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Uneinbringlichkeit trat mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 20.8.2002 ein, da die Forderungen der Gläubiger der GmbH von Rechts wegen gegenüber der Schuldnerin zunächst nicht mehr durchsetzbar waren.
Der Vorsteuerrückforderungsanspruch wurde auch zu Recht gegenüber dem Kläger geltend gemacht und festgesetzt. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom März 2002 bewirkte keinerlei Veränderung hinsichtlich der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der GmbH in das Unternehmen des Klägers und war daher nicht geeignet, das Organschaftsverhältnis zu beenden.
Nach dem Urteil des BFH v. 1.4.2004, V R 24/03, BStBl 2004 II S. 905 endet die Organschaft bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nur dann, wenn diesem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen wurde. Dabei sind allein die Befugnisse und Rechte des vorläufigen Insolvenzverwalters maßgebend, die ihm durch Beschluss des Insolvenzgerichtes zugewiesen werden. Im Streitfall wurde dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übertragen, sondern lediglich ein Zustimmungsvorbehalt angeordnet. Da die Organschaft erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet war, richtete sich der Korrekturanspruch noch gegen den Organträger.
Hinweis
Wird über das Vermögen eines Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet, ergeben sich umsatzsteuerrechtlich zwei Probleme: Zum einen werden noch offene - schon festgesetzte - Steuerschulden vorhanden sein, zum anderen sind aus erhaltenen aber noch nicht bezahlten Leistungen die schon geltend gemachten Vorsteuerbeträge nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu korrigieren. Dieser Berichtigungsanspruch richtet sich immer gegen den Unternehmer.
Liegt Organschaft vor, ist der Organträger der Unternehmer, der Steuerschuldner ist und dem alle Leistungen des Organkreises zuzurechnen sind.
Wird ein sog. schwacher Insolvenzverwalter bestellt, verliert der Schuldner nicht die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, sondern nur die Fähigkeit, diese Rechtsmacht ohne Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam auszuüben. Die Unternehmensleitung bleibt jedoch in den Händen des Schuldners. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter ist verpflichtet, sich an der Organisation der Betriebsfortführung zu beteiligen und den Schuldner dabei zu unterstützen. Daher endete die Organschaft nicht schon mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters.
Link zur Entscheidung
FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.10.2012, 1 K 1061/07