Leitsatz
Durch die Anfechtung eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids werden nicht zugleich (inzident) auch die Lohnsteuer-Anmeldungen oder ein Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen für die Anmeldungszeiträume angefochten, in denen der Haftungstatbestand verwirklicht wurde.
Normenkette
§ 110 Abs. 3, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 164 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, § 167, § 168 Satz 1, § 357 Abs. 3 Satz 1 AO, § 38 Abs. 1 Satz 1, § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 133 BGB
Sachverhalt
Für den Kläger wurde für den Streitzeitraum zu viel LSt angemeldet und abgeführt. Im Rahmen einer LSt-Außenprüfung auch für den Streitzeitraum traf der Prüfer verschiedene Feststellungen im Hinblick auf Verpflegungsmehraufwendungen, die mehreren Arbeitnehmern zu Unrecht als Reisekosten steuerfrei erstattet worden waren. Der Prüfer war deshalb der Auffassung, dass bestimmte Beträge nachzuversteuern seien.
Das FA erließ in Bezug auf die steuerfrei an zwei Arbeitnehmer ausgezahlten Reisekostenerstattungen daraufhin einen Haftungsbescheid mit Leistungsgebot vom 31.10.2012. In diesem Sammelbescheid hob es zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung für die LSt-Anmeldungen des Prüfungszeitraums auf.
Ebenfalls unter dem 31.10.2012 erließ das FA einen Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot wegen der Reisekostenerstattungen an sieben weitere Arbeitnehmer, die vorrangig in Anspruch genommen wurden.
Der Kläger legte gegen beide Haftungsbescheide Einspruch ein und begründete diese.
Dem Einspruch gegen den Haftungsbescheid mit Leistungsgebot half das FA durch Änderungsbescheid vom 7.8.2013 teilweise ab. Im Übrigen wies es diesen Einspruch als unbegründet zurück.
Nachdem der Kläger die aus anderen Gründen zu viel erfolgte Anmeldung und Abführung der LSt-Beträge und Nebenabgaben für den Streitzeitraum bemerkt hatte, beantragte er die Änderung der entsprechenden LSt-Anmeldungen. Zudem erweiterte er seinen Einspruch gegen den Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot und begehrte auch im Rahmen dieses Einspruchsverfahrens die Korrektur der LSt-Anmeldungen für den Streitzeitraum wegen der zu viel angemeldeten und abgeführten Lohnsteuern und Nebenabgaben.
Auf den (erweiterten) Einspruch gegen den Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot widerrief das FA diesen Bescheid gemäß § 131 AO. Im Übrigen wies es den Einspruch zurück. Die Änderung der LSt-Anmeldungen sei wegen der eingetretenen Festsetzungs- und Zahlungsverjährung auch im Rahmen einer Erweiterung des Einspruchsverfahrens nicht mehr möglich.
Die hiergegen erhobene Klage wies das FG ab. Die LSt-Festsetzungen seien bestandskräftig geworden, da sie innerhalb der einmonatigen Einspruchsfrist nicht mit dem Einspruch angefochten worden seien. Die Einsprüche des Klägers hätten sich allein gegen die beiden Haftungsbescheide vom 31.10.2012 und nicht (auch) gegen den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gerichtet (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.1.2021, 6 K 3341/18).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe zutreffend entschieden, dass eine Änderung der LSt-Festsetzungen für den Streitzeitraum nicht in Betracht komme.
Hinweis
1. Die LSt-Anmeldungen (§ 167 AO) für den Streitzeitraum standen gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden unmittelbar an die Steuererklärung die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung geknüpft. Das Steueranmeldungsverfahren ist ein abgekürztes Festsetzungsverfahren. Die Steueranmeldung kann gemäß § 164 Abs. 2 AO geändert sowie durch Einspruch und Klage angefochten und dementsprechend ebenfalls geändert werden; nach § 164 Abs. 3 AO kann der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben werden.
2. Das FA hat im Anschluss an die LSt-Außenprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der LSt-Anmeldungen für den Prüfungszeitraum und damit auch für den Streitzeitraum mit Bescheid vom 31.10.2012 aufgehoben. Die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts steht gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 AO einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
3. Der Kläger hat gegen diesen Bescheid keinen Einspruch eingelegt, sondern nur die beiden Haftungsbescheide angefochten. Die dahin gehende Auslegung der Einspruchsschreiben des Klägers durch das FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und daher für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindend. Denn das FG hat die anerkannten Auslegungsregelungen (§ 133 BGB) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen. Es hat zudem auch die weiteren Umstände in den Blick genommen, die nach der Einlegung der Einsprüche gegen die beiden Haftungsbescheide zutage getreten sind. Ein anderes Auslegungsergebnis hat das FG u.a. im Hinblick auf den erheblichen Zeitablauf verneint und daraus ohne Rechtsfehler geschlossen, dass der Kläger den Willen zur Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 31.10.2012 erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gebildet hat. D...