Leitsatz
Der Anspruch auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO ist kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 Abs. 1 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch. Es ist daher ernstlich zweifelhaft, ob das auf einen solchen Anspruch Geleistete mithilfe eines hoheitlich ergehenden Bescheides zurückgefordert werden kann.
Normenkette
§ 37 Abs. 1 und 2, § 218 Abs. 2 AO, § 130 Abs. 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1 InsO
Sachverhalt
Ein Insolvenzverwalter hatte von der Schuldnerin geleistete Zahlungen auf Lohnsteuer nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 der Insolvenzordnung (InsO) angefochten. Das FA hatte sie ihm zunächst auch erstattet. Es fordert sie jedoch jetzt, gestützt auf § 37 Abs. 2 AO, zurück und hat darüber einen Bescheid erlassen; es meint, die Anfechtungsvoraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Der Verwalter hat gegen den Bescheid des FA Einspruch erhoben und beantragt Aussetzung der Vollziehung.
Entscheidung
Der BFH hat auf die vom FG (FG Münster, Urteil vom 7.9.2011, 11 V 2576/11 AO, Haufe-Index 2756850, EFG 2011, 2045) zugelassene Beschwerde des Verwalters den Ablehnungsbeschluss des FG aufgehoben und AdV gewährt (vgl. schon BFH, Beschluss vom 5.9.2012, VII B 95/12, Haufe-Index 3401742, BFH/NV 2012, 1855, durch den die vom FG verfügte Aussetzung des Verfahrens wegen angeblicher Vorgreiflichkeit eines anhängigen Parallel-Verfahrens zum Abrechnungsbescheid vor dem ordentlichen Gericht aufgehoben worden ist).
Hinweis
Über die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Steuern wird im Allgemeinen durch einen Verwaltungsakt i.S.d. § 218 Abs. 2 AO entschieden, weil es sich in der Regel um einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis handelt. Gilt das aber auch dann, wenn der Inhalt des Steuerschuldverhältnisses gar nicht streitig ist, sondern es nur darum geht, ob Steuern aus außersteuerlichen Gründen zurückgefordert werden können, insbesondere etwa, weil eine Steuerzahlung nach Insolvenzrecht anfechtbar ist? Darüber lässt sich gewiss trefflich streiten: Ist entscheidend, dass die Rückforderung auf einem jedermann zustehenden Anspruch beruht (nämlich der InsO, welche dem FA kein Sonderrecht gewährt)? Oder ist die Rechtsnatur der Zahlung (Steuer), die zurückgefordert wird, maßgeblich, infiziert sie also gleichsam den Rückforderungsanspruch?
Diese Frage ist seit langem strittig. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat zu ihr – in arbeitsrechtlichem Zusammenhang – eine Entscheidung im letzteren Sinne gefällt, deren Begründung freilich schillernd ist und die dementsprechend unterschiedlich verstanden worden ist. Der BGH hat sie in sozialversicherungsrechtlichem Zusammenhang im erstgenannten Sinne verstanden. Davon scheint der BFH für das Steuerrecht nicht abweichen zu wollen und könnte es wohl mangels insoweit relevanter Unterschiede zwischen Sozialversicherungs- und Steuerrecht auch gar nicht ohne eine erneute Anrufung des Gemeinsamen Senats.
Wenn man also für entscheidend hält, dass die Insolvenzanfechtung und der durch sie ausgelöste Rückforderungsanspruch auch dann vor die ordentlichen Gerichte gehört, wenn es um Steuerzahlungen geht, dürfte das Gleiche für einen Anspruch des FA auf Rückforderung wegen Insolvenzanfechtung zurückgezahlter Steuern gelten. Dann darf darüber nicht durch Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 AO entschieden werden!
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 27.9.2012 – VII B 190/11