Leitsatz
Ob eine "Förderung der Allgemeinheit" gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO zu verneinen ist, da eine Körperschaft Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, ist ebenso wie bei § 51 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO eigenständig und ohne eine die Leistungen der Körperschaft für das Gemeinwohl einbeziehende Abwägung zu entscheiden. Es ist daher keine Gesamtwürdigung mit der Folge einer Anerkennung (auch) extremistischer Körperschaften als gemeinnützig vorzunehmen (Bestätigung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 14.03.2018 ‐ V R 36/16, BFHE 260, 420, BStBl II 2018, 422).
Normenkette
§ 51 Abs. 3 Sätze 1 und 2, § 52 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Der Kläger, ein eingetragener Verein, verfolgte nach seiner in den Jahren 2007 bis 2013 (Streitjahre) geltenden Satzung in § 52 Abs. 2 AO genannte gemeinnützige Zwecke. Er vertrieb Werke zu einer monotheistischen Religion. Des Weiteren führte der Kläger Veranstaltungen durch, bei denen er auch Publikationen zu dieser Religion anbot und zu denen er unter anderem Personen als Referenten oder Übersetzer einlud, die in verschiedenen Beziehungen zu dem X-Verein und dessen Untergliederungen standen, der in den Streitjahren in Verfassungsschutzberichten in dem Abschnitt zur fundamentalistischen Auslegung dieser Religion aufgeführt war. Das FA sah wegen der Erwähnung des Klägers in den Verfassungsschutzberichten die Voraussetzungen der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit als nicht erfüllt an und erließ dementsprechend KSt- und USt-Bescheide für die Streitjahre. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das FG der Klage statt (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.5.2022, 8 K 8117/16, Haufe-Index XXXXXX).
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe zu Unrecht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung eine Abwägung zwischen der Förderung satzungsmäßiger Zwecke des Klägers und der Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorgenommen. Im zweiten Rechtsgang sei zu entscheiden, ob die Umstände vorliegen, die eine Förderung verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch den Kläger belegen.
Hinweis
1. Nach der BFH-Rechtsprechung wird der unbestimmte Rechtsbegriff der "Förderung der Allgemeinheit" in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO wesentlich geprägt durch die objektive Werteordnung, wie sie insbesondere durch den Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit. Als Förderung der Allgemeinheit sind solche Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, nicht anzuerkennen (BFH, Urteil vom 11.4.2012, I R 11/11, BFH/NV 2012, 1352, BStBl II 2013, 146, Rz. 16). Hierzu ordnet § 51 Abs. 3 AO, der gemäß Art. 97 § 1d Abs. 2 EGAO i. d. F. des JStG 2009 ab dem 1.1.2009 anzuwenden ist, in Satz 1 nunmehr ausdrücklich an, dass die Steuervergünstigung zudem voraussetzt, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen i. S. d. § 4 BVerfSchG fördert, wozu nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gehören. Nach § 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist zudem bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO nicht erfüllt sind.
2. Ob eine "Förderung der Allgemeinheit" gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AOzu verneinen ist, da eine Körperschaft Bestrebungen verfolgt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, ist ebenso wie bei § 51 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO eigenständig und ohne eine die Leistungen der Körperschaft für das Gemeinwohl einbeziehende Abwägung zu entscheiden. Es ist daher keine Gesamtwürdigung mit der Folge einer Anerkennung (auch) extremistischer Körperschaften als gemeinnützig vorzunehmen (vgl. BFH, Urteil vom 14.3.2018, V R 36/16, BFH/NV 2018, 744, BStBl II 2018, 422, Rz. 39 bis 43).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.9.2024 – V R 15/22