Leitsatz
Für ein über 18 Jahre altes Kind ist eine Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden einfachen BEA-Freibetrages nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen.
Normenkette
§ 32 Abs. 6 Sätze 6 und 8 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater von zwei volljährigen Kindern, die Beigeladene ist deren Mutter. In der Einkommensteuererklärung für 2014 beantragte die Beigeladene die Übertragung der dem Kläger zustehenden Kinderfreibeträge sowie der BEA-Freibeträge, weil der Kläger seiner Unterhaltsverpflichtung nicht zu mindestens 75 % nachkomme. Das FA gewährte der Beigeladenen den doppelten Kinderfreibetrag sowie den doppelten BEA-Freibetrag für ein Kind zeitanteilig und für das anderen Kind für das gesamte Streitjahr.
Das FG gab der Klage teilweise statt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 8.6.2018, 2 K 46/17, Haufe-Index 12482160, EFG 2019, 103) und entschied, dass bei der Beigeladenen lediglich die einfachen BEA-Freibeträge zu berücksichtigen seien.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg, denn der BEA-Freibetrag für die volljährigen Kinder war nicht vom Kläger auf die Beigeladene zu übertragen.
Hinweis
1.§ 32 Abs. 6 EStG unterscheidet zwischen dem Kinderfreibetrag (für das sächliche Existenzminimum) und dem BEA-Freibetrag (für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf).
2. Wenn die Voraussetzungen einer Ehegattenveranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG) nicht vorliegen, kann ein Elternteil beantragen, dass der dem anderen Elternteil zustehende Freibetrag auf ihn übertragen wird. Die Übertragung ist für beide Freibeträge unterschiedlich unabhängig geregelt:
Der Kinderfreibetrag kann für Kinder jeden Alters übertragen werden, wenn der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nicht nachkommt oder nicht leistungsfähig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 f. EStG).
Eine Übertragung des BEA-Freibetrages kommt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG nur bei minderjährigen Kindern auf Antrag desjenigen Elternteils in Betracht, bei dem das Kind gemeldet ist. Für volljährige Kinder ist eine Übertragung des dem anderen Elternteil zustehenden einfachen BEA-Freibetrages ausgeschlossen.
3. Der BFH begründet ausführlich, dass die vom FA angestrebte ergänzende Rechtsfortbildung oder teleologische Extension mangels einer Gesetzeslücke ausscheidet. Eine Auslegung "gegen den Wortlaut" kommt nicht in Betracht, weil die am Wortlaut haftende Auslegung nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt.
4. Gesetzesmaterialien, die Entstehungsgeschichte der Norm und die Gesetzessystematik deuten nicht darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG auch die Übertragung des einfachen BEA-Freibetrages bei volljährigen Kindern regeln wollte, soweit ein Elternteil seinen Unterhaltspflichten im Wesentlichen nicht nachkommt. Der einfache BEA-Freibetrag sollte die Vorgaben des BVerfG umsetzen, wonach die Leistungsfähigkeit der Eltern über den "existenziellen Sachbedarf" (Kinderfreibetrag) und den "erwerbsbedingten Betreuungsbedarf" hinaus auch durch den (nicht monetären) "Betreuungsbedarf" gemindert wird. Er sollte deshalb jedem Elternteil gewährt werden, "unabhängig von den tatsächlichen Aufwendungen" bzw. "ohne dass es auf eine Verletzung von Unterhaltspflichten des anderen Elternteils ankommt".
5. Unerheblich ist, dass es rechtspolitisch wünschenswert erscheinen könnte, die Übertragung des BEA-Freibetrages bei volljährigen Kindern nach denselben Grundsätzen wie die Übertragung des Kinderfreibetrages zu regeln, weil bei ihnen der Ausbildungsbedarf und damit regelmäßig tatsächliche Aufwendungen im Vordergrund stehen.
6. Da § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG nur den Kinderfreibetrag nennt, lehnt der BFH auch ab, dass die Übertragung des BEA-Freibetrages bei volljährigen Kindern zwingend der Übertragung des Kinderfreibetrages folgen müsse und in § 32 Abs. 6 Satz 8 EStG nur für Minderjährige eine zusätzliche Regelung getroffen werden sollte.
7. Für einvernehmlich agierende Eltern ist misslich, dass eine Gestaltung durch Übertragung der Freibeträge mit Zustimmung des anderen (geringere Einkünfte erzielenden) Elternteils ausgeschlossen ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.4.2020 – III R 61/18