Leitsatz
1. Die auf die Finanzierung von Umlaufvermögen entfallenden Schuldzinsen sind nicht ungekürzt abziehbar.
2. Bei der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen des Wirtschaftsjahrs 1998/1999 sind bei einer verfassungskonformen Auslegung des § 4 Abs. 4a EStG i.V.m. § 52 Abs. 11 S. 1 EStG Überentnahmen des Kalenderjahrs 1998 nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 4 Abs. 4a, § 4a Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 11 S. 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger, ein Apotheker, erwarb im November 1998 eine Apotheke zum Gesamtpreis von 930 000 DM; davon entfielen 150 000 DM auf das Warenlager. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger in voller Höhe fremd. Der Kläger ermittelte seinen Gewinn nach einem zum 31. Januar des jeweiligen Jahres endenden Wirtschaftsjahr. Im Rahmen der zu berechnenden Überentnahmen behandelte der Kläger die auf das Warenlager entfallenden Finanzierungskosten aufgrund einer teleologischen Auslegung des § 4 Abs. 4a S. 5 EStG als unbeschränkt abzugsfähige Schuldzinsen.
Das FG wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.04.2009, 5 K 2038/08, Haufe-Index 2182250, EFG 2009, 1446).
Entscheidung
Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Zwar war das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die auf den Erwerb des Warenlagers entfallenden Schuldzinsen nicht ungekürzt als Betriebsausgaben abziehbar waren. Es hatte jedoch nicht geklärt, ob bzw. in welcher Höhe das FA bei der Berechnung der nicht abziehbaren Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG auch Schuldzinsen erfasst hatte, die auf das Kalenderjahr 1998 entfielen.
Hinweis
Dieses Urteil enthält zwei wichtige Aussagen zur gesetzlichen Regelung der Einschränkung des Schuldzinsenabzugs gem. § 4 Abs. 4a EStG, mit der der Gesetzgeber dem Zwei- oder Mehrkontenmodell im Jahr 1999 ein Ende bereitet hat. Zum ersten wird § 4 Abs. 4a i.d.F. des StBereinG 1999 vom 22.12.1999 (BStBl I 2000, 13) ausgelegt, zum anderen war die verfassungsrechtliche Frage zu klären, ob die Neuregelung durch das StBereinG schon auf Schuldzinsen des Jahres 1998 angewandt werden durfte.
1. Nach § 4 Abs. 4a EStG sind Schuldzinsen nur dann uneingeschränkt berücksichtigungsfähig, wenn die Summe des Gewinns und der Einlagen im Wirtschaftsjahr die Summe der privaten Entnahmen übersteigt (§ 4 Abs. 4a S. 2 EStG). Seither ist der Schuldzinsenabzug zweistufig zu prüfen. Zunächst ist zu klären, ob der betreffende Kredit eine betriebliche oder eine private Schuld ist. Dann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang die betrieblich veranlassten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG abziehbar sind. Nach § 4 Abs. 4a S. 5 EStG bleiben die Finanzierungskosten für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens jedoch uneingeschränkt abzugsfähig. Grund dafür ist, dass anstehende betriebliche Investitionen in Anlagevermögen nicht erschwert werden sollen. Wegen des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift, die nicht teleologisch zu erweitern ist, gilt diese Ausnahme nicht für Umlaufvermögen, wie z.B. ein Warenlager, selbst wenn es im Zeitpunkt der Betriebseröffnung angeschafft wurde, da auch dieses Umlaufvermögen zum alsbaldigen Absatz bestimmt ist, sodass die investierten Gelder zeitnah frei werden.
2. Der andere Aspekt dieses Urteils ist der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen mit einem abweichenden Wirtschaftsjahr bei der rückwirkenden Anwendung eines Steuergesetzes. Unter Berücksichtigung der Grundsätze zur unechten Rückwirkung, die das BVerfG in den drei Beschlüssen vom 07.07.2010 (2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BFH/NV 2010, 1968; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BFH/NV 2010, 1959 sowie 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BFH/NV 2010, 1976) herausgearbeitet hat, ist zwar auch bei einem Gewerbetreibenden mit abweichendem Wirtschaftsjahr von einer unechten Rückwirkung auszugehen, wenn eine Regelung noch in dem Veranlagungszeitraum Gültigkeit erlangt, in dem der Gewinn des Gewerbetreibenden als bezogen gilt (§ 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG).
Die vom BFH in diesem Urteil vorgenommene Abwägung zwischen dem Interesse des Gesetzgebers an der Beendigung des Zwei- oder Mehrkontenmodells und dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens des Steuerpflichtigen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage führte aber dazu, dass in Bezug auf Schuldzinsen des Jahres 1998 dem Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen der Vorrang einzuräumen war.
Grund dafür ist, dass der Schuldzinsenabzug bereits durch § 4 Abs. 4a EStG im Rahmen des StEntlG 1999/2000/2002 eingeschränkt werden sollte. In diesem Gesetz war jedoch vorgesehen, dass die Neuregelung des § 4 Abs. 4a EStG erstmals für Schuldzinsen gelten sollte, die nach dem 31.12.1998 wirtschaftlich entstehen. Damit wurde das Vertrauen eines Steuerpflichtigen, die Schuldzinsen des Jahrs 1998 unbeschränkt abziehen zu können, noch gestärkt. Die Vorschrift des § 4 Abs. 4a i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wurde jedoch – ohne dass sie jemals zur Anwendung kam – berei...