Leitsatz
In Insolvenzfällen kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass der spätere Insolvenzschuldner die Absicht hat, die von ihm in einer Rechnung ausgewiesene USt nicht zu entrichten.
Normenkette
§ 25d UStG 1999 i.d.F. des Art. 5 Nr. 31 Buchst. a StÄndG 2003, Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-RL, § 21, § 22, § 55 InsO
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb im November 2004 von der B-GmbH verschiedene Maschinen zuzüglich USt. Zum Erwerbszeitpunkt befand sich die B-GmbH im vorläufigen Insolvenzverfahren, und ein vorläufiger Insolvenzverwalter war bestellt. Verfügungen waren nur mit dessen Zustimmung wirksam. Der genehmigte zwar den Verkauf, lehnte jedoch die Abführung gesondert ausgewiesener USt ab.
Das FA nahm die Klägerin nach § 25d UStG in Haftung, weil sie habe wissen müssen, dass die Insolvenzschuldnerin wegen der Sicherungsmaßnahmen die in der Rechnung ausgewiesene USt nicht an das FA abführen werde. Das FG gab der Klage statt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 03.08.2006, 5 K 198/05, Haufe-Index 1604015, EFG 2006, 1869).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg.
Die Würdigung des FG, es lasse sich (bereits) nicht feststellen, dass die B-GmbH als Ausstellerin der Rechnung entsprechend ihrer vorgefassten Absicht die ausgewiesene Steuer nicht entrichtet oder sich hierzu vorsätzlich außer Stande gesetzt habe, sei – weil ein Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätzen zu verneinen sei – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Auch wenn Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien, hätten beide eine vergleichbar starke Stellung. Ungeachtet dessen, dass der Insolvenzverwalter auf die Sicherung der Masse bedacht sein müsse, bleibe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Schuldner und sei der Geschäftsführer einer GmbH deshalb an der Entrichtung der USt – wenn auch nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters – nicht grundsätzlich gehindert. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Insolvenzschuldnerin hier vorsätzlich außer Stande gesetzt habe, die ausgewiesene USt zu entrichten, seien weder vorgetragen noch sonst den Akten zu entnehmen. Auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Klägerin als Leistungsempfängerin kam es daher nicht mehr an.
Hinweis
1.§ 25d UStG i.d.F. des StÄndG 2003 setzt – vereinfacht – die Absicht des Rechnungsausstellers voraus, die USt nicht zu entrichten, und weiter, dass der Erwerber dies ggf. auch aufgrund des "Sonderpreises" kennen konnte.
Grundlage der Regelung ist Art. 21 Abs. 3 der 6. EG-RL, der einen Mitgliedstaat ermächtigt, für den Fall, dass der Leistungsempfänger wissen konnte, dass die aufgrund der betreffenden Leistung fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleiben würde, gesamtschuldnerisch mit dem Steuerschuldner auf Zahlung dieser Steuer in Anspruch zu nehmen. Verhältnismäßig – und nur dann gemeinschaftsrechtskonform – ist eine solche Regelung nur, wenn jedenfalls Unternehmer, die alle Maßnahmen träfen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehörten, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließt, nicht Gefahr laufen, in Anspruch genommen zu werden.
2. Die Regelung in § 25d UStG ist angesichts des weiten Wortlauts der Vorschrift – in anderen Mitgliedstaaten sind die im Zusammenhang mit "Karussellgeschäften" auftauchenden spezifische Lieferungen (Handys, CPU etc.) erfasst – insoweit heftig umstritten.
3. Das war im Besprechungsfall nicht entscheidungserheblich; denn eine Voraussetzung ist, dass die ausgewiesene Steuer vom Aussteller der Rechnung entsprechend seiner vorgefassten Absicht nicht entrichtet wird oder er sich vorsätzlich dazu außer Stande gesetzt hat und der Leistungsempfänger davon Kenntnis hatte oder hätte haben können.
Bei Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers lägen nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 12.01.2006, Rs. C-354/03 – Optigen –, BFH/PR 2006, 123) die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht vor, weshalb sich die Frage stellt, ob denn dann nicht der Vorsteuerabzug zu korrigieren ist und für eine Haftung nach § 25d UStG kein Raum mehr bleibt. Auch das war nicht zu entscheiden, denn der BFH hielt die Auffassung des FA und des FG, auch im Insolvenzverfahren mit einem "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter sei stets davon auszugehen, dass der Leistende die Absicht habe, die USt nicht abzuführen, nicht für zwingend, sodass es im vorläufigen Insolvenzverfahren auf die konkreten Umstände ankommt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.02.2008, V R 44/06