Leitsatz
Der beschränkte Abzug von Vorsorgeaufwendungen gem. § 10 Abs. 3 in der Fassung des EStG 1990 und EStG 1997 ist nicht verfassungswidrig.
Normenkette
Art. 2 Abs. 1 GG , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 6 Abs. 1 GG , § 3 Nr. 62 EStG , § 10 Abs. 3 EStG
Sachverhalt
Der Kläger erzielte in den Streitjahren 1990 und 1997 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als Rechtsanwalt (371.033 DM; 350.269 DM), seine Ehefrau als Beamtin Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (Teilzeit: 39.841 DM; Vollzeit: 83.049 DM). Die Vorsorgeaufwendungen betrugen insgesamt 19.414 DM (1990) bzw. 37.265 DM (1997).
Das FA ließ im Jahr 1990 für Vorsorgeaufwendungen 10.000 DM (2.980 DM verbleibender Vorwegabzug, 4.680 DM Grundhöchstbetrag, 2.340 DM hälftiger Höchstbetrag) als Sonderausgaben zum Abzug zu; im Jahr 1997 betrug der Sonderausgabenabzug 7.830 DM (0 DM verbleibender Vorwegabzug, 5.220 DM Grundhöchstbetrag, 2.610 DM hälftiger Höchstbetrag). Die Klage hatte keinen Erfolg.
Im Revisionsverfahren hat der BFH den BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Kläger als unbegründet zurück. Die Regelung des § 10 Abs. 3 EStG sei in beiden Streitjahren nicht verfassungswidrig.
Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, Vorsorgeaufwendungen wie Erwerbsaufwendungen in voller Höhe zum Abzug zuzulassen. Dass von den Vorsorgeaufwendungen selbstständig Tätiger im Vergleich zu pflichtversicherten Arbeitnehmern ein geringerer Betrag steuerfrei verbleibe, weil der Vorwegabzugsbetrag hinter dem steuerfreien Arbeitgeberanteil zurückbleibe, verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Grundrechte des Klägers würden auch nicht dadurch verletzt, dass der Vorwegabzug wegen der Tätigkeit der Ehefrau als Beamtin gemindert werde bzw. insgesamt entfalle.
Hinweis
1. Die Hauptaussage dieser Entscheidung ist identisch mit der Aussage, die der BFH im Urteil vom 16.10.2002, XI R 41/99 (BFH-PR 2003, 130) bereits getroffen hat:
Vorsorgeaufwendungen sind ihrer Art nach als Rücklagen und in besonderer Form gesicherte Sparleistungen zu qualifizieren. Sie dienen nicht der Abdeckung des unmittelbaren Bedarfs des täglichen Lebens (der aktuellen Existenzsicherung), sondern der Absicherung erst in der Zukunft liegender existenzieller Risiken. Von Verfassungs wegen ist aber nur der gegenwärtige Grundbedarf eines Steuerpflichtigen steuerfrei zu lassen (Freistellung des Existenzminimums). Deshalb ist der Gesetzgeber nicht gezwungen, die Aufwendungen für die Altersvorsorge (Renten- und Lebensversicherung) und für die Krankenvorsorge (Kranken- und Pflegeversicherung) im Umfang einer Mindestvorsorge von der Besteuerung freizustellen.
Dass Vorsorgeaufwendungen bei selbstständig Tätigen regelmäßig in geringerem Umfang von der Besteuerung abgeschirmt werden als bei Arbeitnehmern (wegen des im Vergleich zum steuerfreien Arbeitgeberanteil geringeren Vorwegabzugsbetrags), stellt keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG dar.
2. Der Besprechungsfall enthält darüber hinaus ein zusätzliches Problem: Da die Ehefrau des Klägers als Beamtin tätig war, gehörte sie zu den Arbeitnehmern, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei waren und denen im Fall ihres Ausscheidens aus der Beschäftigung eine lebenslängliche Versorgung zusteht (Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 EStG). Das hatte zur Folge, dass nach der besonderen Kürzungsvorschrift des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG der den Klägern zustehende erhöhte Vorwegabzug (wegen Zusammenveranlagung) im Jahr 1990 erheblich gemindert wurde und im Jahr 1997 gänzlich entfallen ist.
Der BFH sah darin keine Verletzung der Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG. Beim Sonderausgabenabzug bilden die Eheleute kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 26b EStG) eine Einheit. Ebenso wie ihnen der erhöhte Vorwegabzug gemeinsam zusteht, ist auch die Kürzung vom gemeinsamen Betrag in vollem Umfang vorzunehmen. Eine individuelle Kürzung für jeden Ehegatten einzeln bis zur Höhe des für Ledige geltenden Vorwegabzugs hat der BFH deshalb stets abgelehnt (vgl. zuletzt BFH, Beschluss vom 21.12.2000, XI B 75/99, BFH/NV 2001, 773). Diese Rechtsprechung hat das BVerfG wiederholt als verfassungsgemäß bestätigt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.12.2002, XI R 17/00