Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Nach der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz 1996 befindet sich auch ein Kind, das als Offiziersanwärter (Soldat auf Zeit) zum Offizier ausgebildet wird, i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG 1996 in Berufsausbildung (Abgrenzung von der Rechtsprechung zu § 32 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG i.d.F. des Einkommensteuerreformgesetzes vom 5.8.1974, BGBl I 1974, 1769).
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Sohn des Klägers wurde nach Ablegung der Reifeprüfung zum 1.7.1997 als Offiziersanwärter in die Dienststellung eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit betrugen 1997 3 576 DM.
Der Beklagte setzte das Kindergeld ab 1.7.1997 auf 0 DM fest. Ein Soldat auf Zeit befinde sich nicht mehr in Berufsausbildung, weil seine Dienstbezüge den vollen Lebensunterhalt sicherstellten. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Entscheidung
Der BFH gab der Klage statt. Er verwies auf den weiten Begriff der Berufsausbildung, der auch die Ausbildung eines Zeitsoldaten zum Offizier umfasse. Die abweichende bisherige Auslegung des Begriffs durch Ausklammerung von Ausbildungsdienstverhältnissen, die als Dauerberufe geeignet sind, lasse sich seit Einführung eines Jahresgrenzbetrags für die Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht mehr aufrechterhalten.
Mit dem Grenzbetrag sei bestimmt, wann das Kind die Eltern bei der gebotenen typisierenden Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Eltern nicht mehr belaste. Diese Bestimmung wirke sich auch auf die (vorgelagerte) Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung aus; damit sei auch das Bedürfnis für eine Einschränkung dieses Begriffs entfallen. Im Streitfall lägen die Einkünfte des Sohnes unter dem Jahresgrenzbetrag.
Hinweis
Kindergeld wird unter anderem auch für Kinder in Berufsausbildung gewährt (§ 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG). Der Begriff der Berufsausbildung ist weit auszulegen; darunter fällt alles, was dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen für einen angestrebten Beruf dient.
Auslegungsprobleme ergeben sich aber vor allem dann, wenn das Kind bereits einen Beruf hat, der ihm den Lebensunterhalt sichert und entweder neben diesem oder über diesen eine Ausbildung verfolgt wird. Bei einem Soldaten auf Zeit kann beides vorliegen: Er kann z.B. neben seinem Dienst ein Studium aufnehmen, er kann aber auch im Rahmen seines Dienstes ein höher gestecktes Berufsziel anstreben. Zu dieser zweiten Kategorie gehört der hier entschiedene Fall der Ausbildung zum Offizier.
Die Besonderheit dieser Art von – privaten oder öffentlichen – Ausbildungsdienstverhältnissen ist es, dass sie völlig unterschiedlich ausgestaltet sein können. So kann es sich z.B. um eine Volontärzeit gegen geringe Entlohnung handeln, um einen Arzt im vorgeschriebenen Praktikum oder um einen Referendar in der juristischen Ausbildung; in allen diesen Fällen bleibt der Kindergeldanspruch bestehen (vgl. etwa BFH, Beschluss vom 10.2.2000, VI B 108/99, BStBI II 2000, 398).
Anders waren nach der bisherigen Rechtsprechung diejenigen Arbeitsverhältnisse zu beurteilen, die üblicherweise von anderen als Dauerberuf ausgeübt werden, z.B. das Dienstverhältnis eines Steuerfachgehilfen in der Vorbereitung auf die Steuerbevollmächtigtenprüfung oder auch das Dienstverhältnis des Zeitsoldaten in der Ausbildung zum Offizier.
Diese Unterscheidung lässt sich ab der Änderung der Gesetzeslage durch das JStG 1996 nicht mehr aufrechterhalten. Der BFH hat dies zwar jetzt nur für den Offiziersanwärter entschieden; das Urteil ist aber auch für alle anderen Ausbildungsdienstverhältnisse von Bedeutung. Denn es beruht auf der Erwägung, dass mit der Einführung des Jahresgrenzbetrags für die Einkünfte und Bezüge des Kindes in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG hinreichend bestimmt ist, wann die Eltern durch das Kind (nicht mehr) belastet sind bzw. das Kind (nicht mehr) unterhaltsbedürftig ist.
Einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung bedarf es bei diesem Ausgangspunkt nicht mehr. Er wird auch in anderen Fällen auf die Auslegung des § 32 Abs. 4 EStG Einfluss nehmen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.4.2002, VIII R 58/01