Kein Kindergeld während der Facharztausbildung
Hintergrund: Kind in Facharztausbildung
Zu entscheiden war, ob der Mutter (M) für ihre Tochter (X) Kindergeld zusteht.
M bezog zunächst laufend Kindergeld für X. Diese legte im Dezember 2020 die Abschlussprüfung in ihrem Medizinstudium ab und begann zum 1.1.2021 ihre mindestens 60 Monate umfassende Vorbereitungszeit zur Erlangung der Qualifikation als Fachärztin. Das hierzu mit einer Klinik abgeschlossene Dienstverhältnis umfasste eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab April 2021 mit der Begründung auf, X habe sich nicht mehr in einer berücksichtigungsfähigen Ausbildung befunden.
Dem folgte das FG und wies die (auf den Monat April 2021 beschränkte) Klage ab. Die Facharztausbildung habe nicht im Rahmen einer berücksichtigungsfähigen (einheitlichen) Erstausbildung stattgefunden, sondern sei berufsbegleitend als Weiterbildung (Zweitausbildung) durchgeführt worden.
Entscheidung: Die Facharztausbildung ist keine begünstigte Berufsausbildung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Es fehlt am Vorliegen einer Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.
Ausbildung im Rahmen eines Dienstverhältnisses
Werden Ausbildungsmaßnahmen (wie hier) innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses durchgeführt, liegen die Voraussetzungen eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nur vor, wenn die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht (z.B. BFH v. 10.5.2012, VI R 72/11, BStBl II 2012 S. 895, Rz. 13, zur Ausbildung eines Mannschaftsdienstgrads zum Kraftfahrer). Kurse oder Lehrgänge, die an sich als Berufsausbildung zu betrachten wären, führen daher nicht zur kindergeldrechtlichen Berücksichtigung, wenn sie im Rahmen eines Erwerbsverhältnisses absolviert werden und bei einer Gesamtbetrachtung der Erwerbscharakter überwiegt (BFH v. 7.7.2021, III R 24/19, BFH/NV 2021 S. 1486, Rz. 17).
Einheitliche Betrachtung eines Dienstverhältnisses
Bei der Beurteilung, ob der Ausbildungs- oder der Erwerbscharakter im Vordergrund steht, kommt es – trotz der allgemeinen Geltung des Monatsprinzips des § 66 Abs. 2 EStG – nicht darauf an, ob im einzelnen Monat die Ausbildungsmaßnahmen oder die Erwerbstätigkeit im Vordergrund steht. Vielmehr sind solche Arbeits- und Dienstverhältnisse als Einheit zu betrachten und daraufhin zu untersuchen, ob "insgesamt" der Ausbildungscharakter und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen (d.h. der Erwerbscharakter) im Vordergrund steht (BFH v. 7.7.2021, III R 24/19, BFH/NV 2021 S. 1486, Rz. 23 f.).
Bei einer Facharztausbildung überwiegt der Erwerbscharakter
X hat im Rahmen ihrer Tätigkeit bereits ihre Qualifikation als Ärztin eingesetzt. Der Erwerbscharakter stand im Vordergrund. Denn die reinen Ausbildungsinhalte bestanden lediglich aus einem mindestens einmal jährlich durchgeführten Gespräch mit dem anleitenden Arzt sowie aus 80 Stunden Weiterbildung während der gesamten 60-monatigen Facharztausbildung. Die Facharztqualifikation wird somit ganz überwiegend aufgrund der praktischen Erfahrung aus der ärztlichen Tätigkeit und nur in geringerem Umfang aus der Vermittlung von theoretischem Wissen und Methodenkompetenz erworben. Nach den Feststellungen des FG schuldete X somit X schwerpunktmäßig ihrem Arbeitgeber ihre ärztliche Tätigkeit nach dessen Weisung. Danach und nicht auf die Teilnahme an einer Berufsausbildungsmaßnahme war ihre Vergütung ausgerichtet.
Der Ausbildungsbegriff ist nicht erfüllt
Da somit (wegen des Erwerbscharakters) schon der weite Ausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht erfüllt war, konnte für den BFH offenbleiben, ob es sich im Rahmen des engeren Ausbildungsbegriffes des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um eine Erst- oder Zweitausbildung handelte. Es kommt deshalb nicht (wie es das FG gesehen hat) darauf an, ob X eine langfristige Bindung an den Arbeitgeber eingegangen ist und welchen Umfang die wöchentliche Arbeitszeit hatte. Auch spielt das Berufsziel der X bei der Abwägung zwischen den Ausbildungs- und den Erwerbsanteilen ihres Dienstverhältnisses keine Rolle.
Hinweis: Kein Ausbildungsdienstverhältnis
Ein (unschädliches) Ausbildungsdienstverhältnis liegt vor, wenn die Erlangung der beruflichen Qualifikation im Vordergrund steht, nicht die Erbringung der Arbeitsleistung (BFH v. 22.2.2017, II R 20/15, BStBl II 17 S. 913). Es handelt sich dann um eine Ausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Der BFH hat dies aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG verneint. Allerdings weist der BFH darauf hin, dass auch Fälle denkbar sind, in denen dies anders gesehen werden könnte, z.B. wenn ein Arzt durch einen weiterbildenden Arzt ganztätig angeleitet wird und noch keine eigenverantwortliche oder selbstständige Tätigkeit ausüben darf.
Keine Parallele zur Referendarstätigkeit
Der BFH verneint eine Parallele zwischen Assistenzärzten Referendaren in der Juristen- oder Lehramtsausbildung sowie den Finanzanwärtern schon deshalb, weil bei Letztere noch nicht in einen Beruf eingetreten sind und die Vergütung sich an dem Ausbildungscharakter und nicht an einer Erwerbstätigkeit orientiert. Zu Zeitsoldaten hat der BFH ebenfalls bereits das Vorliegen einer Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verneint, weil auch dort der Erwerbscharakter des Dienstverhältnisses dominierte (BFH v. 7.7.2021, III R 24/19, BFH/NV 2021 S. 1486).
BFH Urteil vom 22.09.2022 - III R 40/21 (veröffentlicht am 10.11.2022)
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