Leitsatz
Wird vor Ablauf der Klagefrist ein Änderungsantrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 3 AO gestellt, der eine den Anspruch auf Kindergeld ablehnende Einspruchsentscheidung betrifft, und wird die Angelegenheit nach der Ablehnung dieses Antrags im darauf folgenden Einspruchsverfahren erneut sachlich geprüft, umfasst die Bindungswirkung der ablehnenden Entscheidung auch die Monate bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung über den Änderungsantrag.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Sätze 2 und 3, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a, Sätze 2 und 3 AO
Sachverhalt
Der Kläger ist Vater eines im Dezember 1993 geborenen Sohnes, der von August 2011 bis Januar 2014 als Elektroniker ausgebildet und anschließend vom Ausbildungsbetrieb in Vollzeit übernommen wurde. Ab September 2015 besuchte er in Teilzeit eine Fachschule; für das Schuljahr 2014/2015 hatte er sich nicht beworben.
Den Antrag des Klägers vom 13.12.2017 auf Kindergeld ab September 2015 lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 8.1.2018 ab und wies den hiergegen erhobenen Einspruch am 12.2.2018 als unbegründet zurück.
Am 13.3.2018 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 8.1.2018 und die Einspruchsentscheidung vom 12.2.2018 nach § 172 AO zu ändern. Die Familienkasse lehnte den Änderungsantrag am 27.3.2018 ab, da sich der Sachverhalt nicht geändert habe, und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück. Die Klage hatte keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.12.2018, 11 K 155/18, Haufe-Index 13416291).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück; der Kindergeldanspruch war wegen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).
Hinweis
Welchen Zeitraum ein Streit über Kindergeld betrifft, ist nicht nur für den Streitwert und die Zulässigkeit einer Klage von Bedeutung, sondern auch, weil für die Zeit danach ggf. ein rechtzeitiger neuer Antrag gestellt werden muss.
1. Da Kindergeld regelmäßig durch einen Dauer-VA festgesetzt wird, vermuten Laien mitunter, dass sich der Streitzeitraum bis zum 18. Lebensjahr oder dem Ausbildungsende des Kindes erstreckt. Tatsächlich beschränkt sich die Bindungswirkung eines Bescheides, mit dem der Antrag auf Kindergeld abgelehnt oder die Festsetzung von Kindergeld für einen nicht ausdrücklich umgrenzten Zeitraum (z.B. "Februar bis August 2020") aufgehoben wird, auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe.
Bei einem anschließenden Einspruchsverfahren gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid, der sich auf den Zeitraum "ab" einem bestimmten Monat (nicht "von ... bis") bezieht, umfasst der Streitzeitraum nicht nur die Monate bis zur Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids, sondern – sofern im Einspruchsverfahren eine sachliche Prüfung stattfindet – auch die Monate bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
Wird der Einspruch dagegen als unzulässig verworfen (z.B. wegen Verfristung), verbleibt es mangels sachlicher Prüfung beim Regelungsumfang des Ausgangsbescheids. Eine Klage wegen eines darüber hinausgehenden Kindergeldanspruchs wäre mangels Beschwer unzulässig.
2. Gegen eine Einspruchsentscheidung kann nicht nur Klage erhoben werden, sondern innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 47 FGO auch "schlichte" Änderung beantragt werden (so ausdrücklich § 172 Abs. 1 Satz 2 AO). Wird der Kindergeldanspruch aufgrund des Änderungsantrags erneut sachlich geprüft, verlängert sich das Verwaltungsverfahren und erweitert sich damit auch der Regelungsgegenstand bis zum Monat der Bekanntgabe der Entscheidung über den Änderungsantrag.
Gegen die Ablehnung des Änderungsantrags kann erneut Einspruch eingelegt werden. § 348 Nr. 1 AO schließt nur einen Einspruch gegen Einspruchsentscheidungen, nicht aber gegen die Ablehnung eines Antrags auf Änderung eines Einspruchsbescheides aus.
Im anschließenden Klageverfahren kann dann der Kindergeldanspruch bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe der zweiten Einspruchsentscheidung zum Verfahrensgegenstand gemacht werden, die dann die abschließende Verwaltungsentscheidung darstellt.
Wird hingegen bereits gegen die erste Einspruchsentscheidung geklagt und außerdem ein Änderungsantrag gestellt, so kann der darüber entscheidende Bescheid nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht werden (§ 68 FGO), soweit er über einen Anspruchszeitraum nach Bekanntgabe der ersten Einspruchsentscheidung entscheidet.
3. Das Urteil befasst sich im Übrigen einmal mehr mit den Voraussetzungen der mehraktigen Erstausbildung (vgl. BFH, Urteil vom 11.12.2018, III R 26/18, BFHE 263, 209, BStBl II 2019, 765, BFH/PR 2019, 128). Vorliegend fehlte es am engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Ende der Berufsausbildung und dem Beginn der Fachschulausbildung; die Ausbildung war nicht zum nächstmöglichen Beginn fortgesetzt worden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.9.2020 – III R 2/19