Leitsatz
1. Nimmt ein Kind nach Abschluss einer kaufmännischen Ausbildung ein Studium auf, welches eine Berufstätigkeit voraussetzt, stellt sich das Studium nicht mehr als integrativer Bestandteil einer einheitlichen Erstausbildung dar.
2. Setzt der zweite Ausbildungsabschnitt eine Berufstätigkeit voraus oder nimmt das Kind vor Beginn der zweiten Ausbildung eine Berufstätigkeit auf, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient, liegt regelmäßig mangels notwendigen engen Zusammenhangs keine einheitliche Erstausbildung vor.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 EStG
Sachverhalt
Die 1991 geborene Tochter des Klägers schloss eine nach dem Abitur begonnene Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen im Januar 2014 ab und arbeitete anschließend in einer Klinik. Nachdem ihr Arbeitgeber ihr ein berufsbegleitendes Studium an der Verwaltungsakademie angeboten hatte, bewarb sie sich dort zum nächstmöglichen Studienbeginn. Im September 2014 begann sie das Studium an der VWA und reduzierte die Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden. Der Studiengang setzte eine kaufmännische Berufsausbildung und eine einjährige Berufstätigkeit voraus. Obwohl die Tochter noch kein Jahr gearbeitet hatte, wurde sie ausnahmsweise vorläufig immatrikuliert.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2014 auf, weil die Tochter mit der Abschlussprüfung im Gesundheitswesen eine Ausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abgeschlossen habe.
Das FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.6.2015, 6 K 1216/15, Haufe-Index 8140288, EFG 2015, 1537) wies die Klage ab...
Entscheidung
... und der BFH die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind zwischen 18 und 25 Jahren, das sich in einer zweiten oder weiteren Ausbildung befindet, nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG). Während der Erstausbildung steht eine Erwerbstätigkeit der Berücksichtigung des Kindes nicht entgegen.
2. Der Begriff der Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist enger als der in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, was die berücksichtigungsschädliche Wirkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG vermindert. Die Berufsausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein und die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zur Aufnahme eines Berufs vermitteln. Daher "verbrauchen" der Abschluss einer allgemein bildenden Schule oder einer nur allgemein berufsqualifizierenden Maßnahme die "erstmalige Berufsausbildung" noch nicht.
3. Der BFH hatte mit Urteil vom 3.7.2014, III R 52/13 (BFH/NV 2014, 1941, BFH/PR 2015, 19, betr. Prüfung als Steuerfachangestellter im Rahmen eines dualen Bachelorstudiums im Steuerrecht) entschieden, dass mehraktige Ausbildungsmaßnahmen als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren sind, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach dem ersten Abschluss fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Mittlerweile ist ständige Rechtsprechung, dass sich dafür der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellen muss. Die durch ein duales Studium vermittelte Erstausbildung endet daher nicht bereits mit dem berufsqualifizierenden "Zwischenabschluss", z.B. als Steuerfachgehilfe, Bankkaufmann oder Fachinformatikerin im Rahmen einer dualen Ausbildung zum Bachelor in Wirtschaftsinformatik, sondern frühestens mit dem "Endabschluss", regelmäßig als Bachelor. Auch der Bachelor-Abschluss des Masterstudenten beendet die Erstausbildung nicht (BFH, Urteil vom 3.9.2015, VI R 9/15, BFH/NV 2016, 113, BFH/PR 2016, 39), sodass eine mehr als 20-stündige Erwerbstätigkeit während des Masterstudiums unschädlich ist.
4. Das vorliegende Urteil grenzt ein: Für eine einheitliche Erstausbildung kommt es vor allem darauf an, ob
– die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen,
– in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden und
– aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar wird, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat.
5. Im Streitfall stellten die kaufmännische Ausbildung und das Studium des Kindes an einer Verwaltungsakademie keine Ausbildungseinheit dar, weil der zweite Ausbildungsabschnitt eine Berufstätigkeit von in der Regel nicht unter einem Jahr voraussetzte und sich damit als ein die berufliche Erfahrung berücksichtigender Weiterbildungsstudiengang (Zweitausbildung) darstellte. Eine vor dem Studienbeginn erforderliche Berufstätigkei...