Leitsatz
Besitzt ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer einen Aufenthaltstitel, der nicht kraft Gesetzes zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt, so hat er nur dann unter den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG einen Anspruch auf Kindergeld, wenn ihm die Erwerbstätigkeit tatsächlich erlaubt worden ist.
Normenkette
§ 62 Abs. 2 EStG, § 4 Abs. 2, § 32, § 101 AufenthG, § 31 Abs. 1, § 69 Abs. 3 AuslG 1990, § 44 FGO
Sachverhalt
Die 1986 geborene Klägerin reiste als Asylbewerberin aus dem Jemen ein. Ab Dezember 2002 war ihr Aufenthalt geduldet, im März 2003 erhielt sie eine Aufenthaltsbefugnis für Familienangehörige nach § 31 Abs. 1 AuslG 1990. Im April 2004 wurde ihr eine Bescheinigung erteilt, wonach ihr Aufenthalt gem. § 69 Abs. 3 AuslG 1990 als erlaubt galt. Eine Arbeitsaufnahme war ihr nur mit gültiger Arbeitserlaubnis gestattet, ab 2005 hätte eine Beschäftigung mit Zustimmung der Arbeitsverwaltung erlaubt werden können. Tatsächlich war die Klägerin bis Oktober 2008 nicht im Besitz einer derartigen Erlaubnis.
Den Antrag auf Kindergeld für ihre im März 2004 geborene Tochter lehnte die Familienkasse ab. Im August 2005 stellte die Klägerin nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für ihren im Juni 2005 geborenen Sohn einen weiteren Kindergeldantrag, über den die Familienkasse noch nicht entschieden hat.
Das FG wies die Klage ab, mit der die Klägerin Kindergeld für ihre beiden Kinder begehrte (Hessisches FG, Urteil vom 28.04.2009, 13 K 2726/05, Haufe-Index 2212940).
Entscheidung
Die Revision war unbegründet; allerdings war die Klage hinsichtlich des Sohnes nicht unbegründet, sondern mangels Durchführung eines Vorverfahrens bereits unzulässig (§ 44 Abs. 1 FGO).
Hinweis
1. Nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhalten nur dann Kindergeld, wenn diese zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, es sei denn, es handelt sich um eine Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG. Die 2006 in Kraft getretene Neuregelung ist trotz der Vorlagebeschlüsse des BSG zum wortgleichen § 1 Abs. 6 BErzGG verfassungsgemäß (BFH, Urteil vom 28.04.2010, III R 1/08, BFH/NV 2010, 1540, BFH/PR 2010, 333).
2. Die Neuregelung ist auch auf vor dem 01.01.2006 verwirklichte Sachverhalte anzwenden. Für Sachverhalte vor 2005 sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S.d. § 5 AuslG 1990 in Aufenthaltstitel im Sinn des AufenthG umzuqualifizieren.
3. Aufenthaltsbefugnisse nach § 31 AuslG 1990, die u.a. minderjährigen, ledigen Kindern erteilt wurden, die im Wege des Familiennachzugs in die Bundesrepublik eingereist waren, entsprechen Aufenthaltserlaubnissen nach § 32 AufenthG, die nicht kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen. Dazu bedürfte es einer ausdrücklichen Erlaubnis der Ausländerbehörde (Senatsurteil vom 26.08.2010, III R 47/09, BFH/NV 2010, 2342, BFH/PR 2011, 89, betr. § 34 Abs. 3 AufenthG). Zuvor benötigten Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AuslG 1990 eine Arbeitserlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit. Maßgeblich ist, ob die Erlaubnis tatsächlich erteilt wurde, nicht, ob ein Anspruch darauf bestand.
4. Fiktionsbescheinigungen nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 führten ebenfalls nicht zu einem Anspruch auf Kindergeld (Senatsurteil vom 17.04.2008, III R 16/05, BFH/NV 2008, 1576, BFH/PR 2008, 430).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.01.2011 – III R 45/09