Leitsatz
Ein Kind ist wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn aufgrund der schulischen Entwicklung des Kindes auszuschließen ist, dass andere Ursachen und nicht die Behinderung ursächlich dafür waren, dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen konnte, auch wenn eine Grad der Behinderung von "nur 50" festgestellt worden ist. Verfügt das Kind über keine eigenen Einkünfte und Bezüge, ist ein Kindergeldanspruch gegeben.
Sachverhalt
Die Klägerin erhielt für ihren Sohn nach Vollendung seines 18. Lebensjahres Kindergeld wegen einer Schul- oder Berufsausbildung. Da die Schulausbildung am 31.8.2009 endete, stellte die Klägerin am 30.7.2009 einen Antrag zur Weitergewährung von Kindergeld. Sie begründete den Antrag damit, dass der Sohn Epileptiker sei und an Depressionen leide, und aufgrund dieser Erkrankung (Grad der Behinderung: 50) eine Berufsausbildung nicht möglich sei. Die Familienkasse lehnte diesen Antrag ab, da die Behinderung des Sohnes nicht nachgewiesen worden sei, und er laut Feststellung der Reha-Stelle der Agentur für Arbeit in der Lage sei, eine mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung auszuüben. Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor, dass die Schwerbehinderung amtlich festgestellt sei, und die behinderungsrelevanten Tatsachen eine Berufsausbildung bzw. Berufstätigkeit ausschließen würden.
Entscheidung
Das Finanzgericht hat entschieden, dass die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den streitigen Zeitraum zu Unrecht verweigert hat. Nach Auffassung des Finanzgerichts liegen im Streitfall besondere Umstände vor, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheinen, so dass jedenfalls eine Mitursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, anzunehmen sei. Die Auffassung der Familienkasse, eine Mitursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt sei nicht nachgewiesen, sei nicht nachzuvollziehen. Es sei aufgrund der schulischen und beruflichen Entwicklung des Sohnes auszuschließen, dass andere Ursachen und nicht die Behinderung ursächlich für seine Probleme auf dem Arbeitsmarkt waren, so dass im Streitfall auch ein Grad der Behinderung von "nur" 50 ohne weitere Merkmale ausreichend ist, um den Tatbestand des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG zu erfüllen.
Hinweis
Im Streitfall war auch ein Grad der Behinderung von "nur" 50 ohne weitere Merkmale ausreichend, um den Tatbestand des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG zu erfüllen, zumal nach den Erfahrungen des Finanzgerichts gerade bei psychischen Erkrankungen die Höhe des Grads der Behinderung allein nicht sehr aussagekräftig für die Beurteilung ist, ob die Person zum Selbstunterhalt in der Lage ist.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 13.01.2017, 7 K 1768/15