Leitsatz
1. Lebt ein Kind mit dem anderen Elternteil seines nicht ehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt, sind in die Berechnung der nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für 2006 bis 2008 geltenden Fassung (a.F.) zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge nur die im Anspruchszeitraum tatsächlich zugeflossenen Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils oder Dritter einzubeziehen, sofern das Kind nicht i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG a.F. auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat.
2. Leben die Elternteile eines nicht ehelichen Kindes in einem gemeinsamen Haushalt, kann bei einer im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. notwendigen Schätzung von gegenüber dem betreuenden Elternteil erbrachten Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils nicht von dem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass sich die Elternteile das Einkommen des alleinverdienenden Elternteils oder ihr gemeinsames verfügbares Einkommen hälftig teilen.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 2, Satz 9 EStG 2006 bis 2008, § 1615l, § 1609 Nr. 1, Nr. 2, § 1610 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mutter der 1984 geborenen T, die im Januar 2006 selbst einen Sohn gebar. Der Kindsvater leistet Unterhalt für sein Kind, nicht aber für T. Der Kindsvater, T und der gemeinsame Sohn leben zusammen im Haus der Mutter des Kindsvaters.
T studierte seit 2002, bemühte sich während zweier Urlaubssemester um einen Ausbildungsplatz und begann am 1.9.2008 eine Berufsausbildung.
Der Kindsvater erzielte 2006 ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 21.106 EUR und 2007 in Höhe von 23.237 EUR. 2008 hatte er Einnahmen in Höhe von 28.309 EUR und Werbungskosten von 3.519 EUR.
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für T ab Januar 2006 auf und forderte das ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 5.544 EUR zurück. Das Thüringer FG rechnete der T die Hälfte des Einkommens des Kindsvaters bzw. des gemeinsamen Einkommens zu und wies die Klage wegen Überschreitung des Grenzbetrags ab (Urteil vom 23.11.2011, 3 K 371/09, Haufe-Index 3514871, EFG 2013, 300).
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, das im zweiten Rechtsgang die Höhe der von T empfangenen Unterhaltsleistungen konkret festzustellen hat.
Hinweis
1. Kinder, die wegen ihrer Heirat oder wegen Betreuung eines eigenen Kindes einen gegenüber der Unterhaltspflicht der Eltern vorrangigen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehegatten oder den Vater ihres Kindes haben, wurden bis einschließlich 2011 nicht berücksichtigt. Das beruhte aber nicht darauf, dass es an einer "typischen Unterhaltssituation" der Eltern fehlte, denn diese ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG. Den Kindern wurden vielmehr die vom Ehegatten oder Kindesvater empfangenen Unterhaltsleistungen im Rahmen der Grenzbetragsberechnung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F. als Bezüge zugerechnet, sodass eine Berücksichtigung nur in sog. Mangelfällen erfolgte.
2. Unterhaltsleistungen des verheirateten oder geschiedenen Ehegatten oder der Mutter bzw. des Vaters aus Anlass der Geburt eines nicht ehelichen Kindes (§ 1615l BGB) sowie laufende oder einmalige Zuwendungen von dritter Seite, die den Unterhaltsbedarf des Kindes decken, gehören zu den Bezügen. Lebt das Kind mit dem vorrangig unterhaltsverpflichteten Ehegatten oder dem (i.d.R.) Vater seines Kindes nicht in einem gemeinsamen Haushalt, kommt es (außer bei Unterhaltsverzicht) auf den Zufluss dieser Leistungen an.
3. Bei zusammenlebenden kinderlosen Ehegatten ist grundsätzlich davon auszugehen, dass beide ihr verfügbares Einkommen teilen, soweit dem unterhaltsverpflichteten Ehepartner ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums verbleibt (BFH, Urteil vom 23.11.2011, III R 76/09, BStBl II 2012, 413, BFH/NV 2012, 630, BFH/PR 2012, 161).
4.Diese auf einem Erfahrungssatz beruhende Teilung gilt aber nicht für zusammenlebende Elternteile eines nicht ehelichen Kindes, denn dem nichtehelichen Kind steht ein vorrangiger Unterhaltsanspruch zu und der Unterhaltsbedarf des betreuenden Elternteils wird weder durch die ehelichen Lebensverhältnisse noch durch die wirtschaftlichen Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteils bestimmt. Zudem ist denkbar, dass der Unterhaltsverpflichtete mehr oder weniger als den zivilrechtlich geschuldeten Unterhalt leistet. Wegen des Zuflussprinzips sind die vom betreuenden Elternteil empfangenen Bar- oder Naturalleistungen im Einzelnen zu ermitteln. Etwaige Naturalleistungen (z.B. Verpflegung, Unterkunft oder Wohnung) können in Anlehnung an die Sachbezugsverordnung oder die Sozialversicherungsentgeltverordnung geschätzt werden.
5. Mit Beginn des Jahres 2012 ist die Grenzbetragsberechnung entfallen. Die Verwaltung lehnt jedoch die Berücksichtigung von Kindern, die wegen Heirat, eingetragener Lebenspartnerschaft oder Betreuung ihres Kindes einen vorrangigen Unterhaltsanspruch gegen den Partner oder Kindesvater haben, außer in Mangelfällen, weiterhin ab (DA 31.2...